Höher, schneller und weiter
Am Rande hatte ich von ihm schon mal gehört, jetzt habe ich mich ausgiebiger mit Hartmut Rosa und seinem Schwerpunktthema beschäftigt, der sozialen Beschleunigung. Damit gehört dieser Beitrag auch in die Hamsterrad-Reihe. In der kam Rosa übrigens an einer Stelle schon mal vor.
Lassen wir ihn zunächst selbst zu Wort kommen:
In der Langfassung dieses Videos erklärt er noch die heute vorherrschenden Strategien, mit der Beschleunigung umzugehen: die Surfer und die Drifter.
Beim Institut zur sozialen Therapie der Eilkrankheit könnt ihr ein Interview mit Hartmut Rosa in SZ Wissen lesen. Darin beschreibt er, was wohl den allermeisten sehr bekannt vorkommt:
Es geht eher um den Eindruck, wir kommen nicht mit dem hinterher, was wir erledigen müssen. Ein einfacher Test: Haben Sie sich genug um Ihre Rente gekümmert, um die Fitness, um den Handy- oder Stromtarif, die Steuererklärung, die Eltern, die Abgeltungssteuer, die Kinder, um die Freunde, die Hardware, die Software, den Garten, den Urlaub? Die Listen dessen, was man glaubt, tun zu müssen, verlängern sich. Durch die Ausdifferenzierung der Sozialwelt in immer mehr Teilbereiche, die wir gleichzeitig bedienen müssen, kommt das einzelne Subjekt, das alle Fäden unter Kontrolle halten soll, in Bedrängnis. Ihm läuft die Welt davon.
Ich für mein Teil finde mich in dieser Beschreibung wieder, wie ihr z.B. im Beitrag Offene Enden nachlesen könnt. Auch mein noch nicht ganz ausgestandener Kampf mit dem KDE Plasma 5-Update bestätigt Rosas Beobachtungen.
Und es ist auch das, was mich hier im Diamond Lotus immer wieder unwohl fühlen lässt: der Beschleunigungsdruck der kapitalistischen Umwelt, dem sich manche in der Gemeinschaft bereit sind zu beugen (angesichts von Finanzamt, Vermieter usw.), andere (wie ich) weniger. Nur wissen diese anderen nicht wirklich, wie sie sonst damit umgehen sollen. Wie können wir nicht einfach mitmachen, ohne uns damit automatisch aufs Abstellgleis zu manövrieren? Oder sollte die Reise vielleicht gerade dort hingehen?
Rosa weist jedenfalls darauf hin, wie verheerend sich die soziale Beschleunigung auf alte Menschen auswirkt:
Alte Menschen sind heute diejenigen, die sich nicht in die Stadt trauen, weil sie nicht wissen, wie der Fahrkartenautomat funktioniert. Alter wird entwertet, weil Erfahrung entwertet wird. Es gibt nicht mehr den weisen Alten, der weiß, wie die Dinge laufen. Man hat die Welt nie ausgeschöpft und kann deshalb nicht mehr lebenssatt sterben.
Auf die Frage " Auch die Millionen Musiktitel im Internet machen nicht glücklich?" antwortet er:
Je leichter verfügbar Güter werden, umso geringer scheint das Glücksmoment zu sein. Ein Musikstück macht mich glücklich, wenn ich mich so intensiv mit ihm beschäftige, dass es zu einem Teil meiner Identität wird und mich zu neuen Erfahrungshorizonten führt.
Sein Fazit des Interviews gefällt mir sehr:
Wir sollten uns weiterhin die Frage stellen: Was ist eigentlich ein gutes Leben? Wenn wir einfach nur versuchen, uns an irgendwelche Entwicklungen anzupassen, verraten wir das Projekt der Moderne. Die Moderne ist angetreten, damit uns niemand vorschreiben kann, wie wir leben sollen – weder Kirche, König noch Natur. Jetzt einfach achselzuckend zu sagen, wir haben gesellschaftliche Prozesse in Gang gesetzt, die wir nicht mehr steuern können und müssen deren Vorschriften akzeptieren, das finde ich einen unerträglichen Fatalismus.
Natürlich ist bei der Beschleunigung die Megamaschine am Werk, bzw. der megatechnische Pharao, über den Johannes Heimrath schreibt:
Vorwärts, von Innovation zu Innovation peitscht uns der Pharao in wuchernde Rebound-Effekte hinein!
In der Buchbesprechung in der Zeit (sic!) aus dem Jahr 2006 mit der Überschrift Atemlos findet sich noch ein wesentlicher Punkt:
Das Urtrauma der Moderne sei die Panik vor dem größten aller “Optionenvernichter”, dem Tod, und indem sie unter faustischem Zwang alle Möglichkeiten maximal ausschöpfe, schaffe die Moderne sich einen säkularen Ewigkeitsersatz. Dies allerdings vergeblich.
Aus dieser Perspektive stellt sich übrigens der Krieg als massiver Todes-Beschleuniger dar.
In meinem Beitrag zur Aufmerksamkeitsökonomie geht es darum, wie vor allem Smartphones einerseits unsere Aufmerksamkeit binden und andererseits unser Leben beschleunigen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die soziale Beschleunigung als ein immer schnelleres Hin- und Herwechseln unserer Aufmerksamkeit beschreiben.
Dem wirkt z.B. Vipassana radikal entgegen.
Andere, die sich dem Entschleunigen widmen, sind z.B. der Verein zur Verzögerung der Zeit und die Slow Food-Bewegung. Beim Konzeptwerk Neue Ökonomie ist im Rahmen des Zeitwohlstand-Projektes das gleichnamige Buch entstanden, in dem auch ein Beitrag von Hartmut Rosa vertreten ist.
Neben Hartmut Rosa hatte auch Peter Kafka sich intensiv mit der Beschleunigung auseinandergesetzt, z.B. in seinem Aufsatz Wohin rennen wir eigentlich? Er geht dabei über das Soziale hinaus und betrachtet die gesamte Evolution der Erde.
Zurück zu Rosa: in der Buchbesprechung von 2006 heisst es:
Zweifellos kommt der kapitalistischen Wirtschaftsform dabei eine Schlüsselrolle zu, denn sie verwandelt Zeit in Geld. Anders gesagt: Im Kapitalismus greifen Wachstums- und Beschleunigungszwang ineinander. Was wir in der Produktion an Zeit gewinnen, müssen wir im Konsum wieder ausgegeben – das gesteigerte Produktionstempo hat “ökonomisch zwingend” eine “Erhöhung der Konsumtionsakte zur Folge”. Weil der Bedarf weitgehend gedeckt und der Markt gesättigt ist, dreht die Produktion leer und wird zum Selbstzweck. Die ethischen Ziele des Wirtschaftens gehen verloren, eine erpresserische Sachzwanglogik tritt an ihre Stelle. Wir produzieren für die Produktion, während uns die gesparte Zeit als Arbeitslosigkeit heimgezahlt wird.
Das war nicht erst im Kapitalismus so, sondern seit Anbeginn des Geldes. Geld ist ein Mittel, um Zeit zu überbrücken. Insofern wirkt es zwangsläufig auf unser Zeitempfinden ein und darauf, wie wir mit unserer Zeit umgehen.
Das Prinzip der Konkurrenz hängt damit eng zusammen und bildet auch einen starken Motor für die soziale Beschleunigung, denn wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Dass sich Wettbewerb und Gleichgewicht ausschließen, hatte ich ja schon letztes Jahr geschrieben.
Ich gehe also nach wie vor davon aus, dass das Geld dieser sozialen Beschleunigung zugrunde liegt, & dass das “schneller” nur einen Teilbereich des umfassenderen “mehr” bildet. Dafür spricht z.B. auch das gleichnamige Buch Mehr! Philosophie des Geldes von Christoph Türcke, das ich derzeit häppchenweise lese. Dazu gibt es auf jeden Fall noch einen Beitrag, bis dahin schau doch mal in das Interview auf der Buchmesse 2015 rein.
So wie unsere (Lebens-) Zeit immer knapper zu werden scheint, hat Charles Eisenstein ja festgestellt: Wenn die Wirtschaft wächst, wird alles knapper.
Deshalb wiederhole ich denn auch noch mal sein wunderbares Zitat über wahren Reichtum:
Zeit ist Leben. Wahrhaft reich zu sein heißt, über unsere Zeit selbst verfügen zu können.
Dem Känguru lasse ich heute mal nur das vorletzte Wort:
Denn mit TAPETE (siehe Charles Eisenstein über die Megamaschine) rufe ich hiermit zum Generalstreik auf:
Nachtrag: Ich fühle mich übrigens darin bestätigt, um Methoden wie Getting Things Done konsequent einen Bogen gemacht zu haben. Dabei handelt es sich nur um Versuche, sein Leben effizienter zu beschleunigen. Da lobe ich mir doch Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral. Ah, apropos:
Nachtrag vom 20.09.: Vergleiche auch in diesem Zusammenhang Jon Rappoports Artikel über das Stimulus-response Empire.