weich und berührbar werden und dadurch ankommen
Gestern bin ich von meinem zweiten 10tägigen Vipassana-Kurs zurück gekommen, diesmal im großen Zentrum in Triebel. Den ersten Kurs hatte ich ja bei Panyasara gemacht, den ich schon als Bewusstseinsraketentreibstoff lobend erwähnt hatte. Dort findet ihr auch den Film “Fliessen lernen” über einen Kurs bei ihm.
In den nächsten Tagen werde ich noch einiges über die Theorie von Vipassana schreiben, heute erst mal der Erfahrungsbericht:
Jetzt nach dem zweiten Kurs kann ich sagen, dass das eine völlig neue Dimension ist. Der erste Kurs war hauptsächlich schmerzvoll, mit gelegentlichen Lichtblicken. Es ging in erster Linie einfach darum, durchzuhalten. Das ist schon mal wichtig, denn Entschlossenheit braucht es, um Ergebnisse zu erzielen. Und ich habe dabei meinen Gleichmut trainiert, worauf ich jetzt aufbauen konnte.
Der Kurs fing für mich mit gemischten Gefühlen an, weil ich mit beginnender Erkältung angereist war. Allerdings erwies sich das sogar als super, weil ich dadurch eh schon mit meiner Aufmerksamkeit bei meinem Körper & speziell bei meiner Nase war. Deshalb fiel es mir ziemlich leicht, meinen Atem zu beobachten, & der Schnupfen hielt sich dann auch sehr in Grenzen. Nur kurze Zeiten war mal eines der Nasenlöcher zu, die meiste Zeit konnte die Luft ungehindert fließen.
Auch die Schmerzen hielten sich vergleichsweise in Grenzen. Am stärksten waren sie am vierten Tag, dem Übergang von Anapana- zu Vipassana-Meditation. Gleichzeitig musste ich mir an diesem Tag einige Male verkneifen, laut loszulachen, einfach so, ohne Grund. Ich habe einfach über den kosmischen Witz gelacht. Den fünften Tag über haben mich sexuelle Begierden immer wieder stark abgelenkt… ;-)
Der sechste Tag bekommt einen eigenen Absatz. Denn am sechsten Tag habe ich angefangen zu weinen (ich habe die Tränen still fließen lassen, denn es war ja edle Stille). Neben Schmerzen in den Beinen zeigte sich nämlich wieder, wie auch schon beim ersten Vipassana, dieser Ring von Verspannung & Schmerzen um meinen Hals, wie eine Halskrause. Und da drin steckt ganz viel unverarbeiteter Schmerz von früher. Die Tränen, die da flossen, waren ungeweinte Tränen meiner Kindheit. Es werden mit Sicherheit noch viele Tränen fliessen, bis sich da alles aufgelöst hat. Jedenfalls habe ich erst an diesem Tag am eigenen Körper begriffen, dass Weinen eine biologische Funktion ist, die Schmerzen rückstandsfrei auflöst. Dabei beobachte ich schon seit langer Zeit Babys & kleine Kinder. Wenn die sich weh tun, dann fangen sie aus voller Kehle an zu weinen, krabbeln oder gehen zu ihrer Mami, oder diese kommt & nimmt sie hoch. In kürzester Zeit ist dann der ganze Schmerz abgeflossen & das Kind beschäftigt sich wieder mit ganz anderen Dingen.
Ein paar Tage vor dem Kurs habe ich in einer Facebook-Gruppe das Video boys don’t cry entdeckt. Daran musste ich jetzt auch wieder denken, unter Tränen. Dieser Satz macht so viel kaputt, blockiert das komplette Leben von Generationen von Jungen & Männern. Denn das Gefühl bleibt stecken, wenn es nicht fließen kann.
Was für mich daran besonders neu war, dass das Weinen gar kein Zeichen von Traurigkeit sein muss, sondern eine rein körperliche Funktion zum Abbau von Spannungen durch Schmerzen sein kann. Wie oft habe ich mir als Kind verkniffen zu weinen, wenn ich mir weh getan hatte. Dabei habe ich diesen Satz möglicherweise nie so wörtlich gehört. Die männlichen Vorbilder in meiner Umgebung & im Fernsehen genügten völlig. Und dieses ganze verkniffene Weinen steckt nun in der Halskrause.
Am siebten Tag erlebte ich nichts Außergewöhnliches. Warum das so war, zeigte sich dann am achten Tag. Da wurde mir nämlich erst klar, dass ich mich am Tag davor wieder hart gemacht hatte. Deshalb stellte ich den achten Tag unter das Motto
weich und berührbar werden
Da flossen dann auch wieder Tränen. Und ich erlebte, dass ich so tief angekommen bin wie nie zuvor in meinem Leben. In einer der Stunden habe ich einen Schmerz im rechten Bein komplett durchgesessen. Es tat tierisch weh, dabei blieb ich gleichmütig & nahm einfach ganz an, dass ich jetzt hier in diesem Zustand bin. Als ich nach der Stunde aufstand, waren meine Beine total beweglich & locker, kein bisschen Schmerz war zu spüren. Der kam zwar schon noch ein paar Mal wieder, ich habe jedenfalls deutlich gemerkt, dass sich da etwas zur Gänze aufgelöst hatte. Am Abend dieses Tages erlebte ich im Bett wie auch schon die Tage zuvor das Fliessen in meinem Körper. Diesmal spürte ich ausserdem die Gravitation so deutlich wie noch nie. Es fühlte sich an, als würde wirklich jedes einzelne Atom in Richtung Erde gezogen.
Am Morgen des neunten Tages habe ich das erste & bisher einzige Mal zwei Stunden komplett durchgesessen, ohne mich zu rühren. Daraus entsprang die Erkenntnis:
Ankommen heisst, nichts mehr verändern zu wollen.
Die Welt ist so, wie sie ist. Eine paradoxe, verrückte Welt. The most uber-bizarre thing ever. Man kann sich in ihr häuslich einrichten, aussteigen geht eh nicht. ;-)
Dem entsprechend bin ich am neunten Tag noch tiefer angekommen.
Am zehnten Tag wird dann ja die Metta-Meditation eingeführt, die fortan an jede Vipassana-Stunde zum Abschluss angehängt werden soll. Ich habe die buddhistische Formel “Mögen alle Wesen glücklich sein!” geändert in
Mögen alle Wesen bewusst am kosmischen Witz teilhaben!
& entsprechend beschlossen, meine Vipassana-Sitzungen damit zu beschließen, dass ich mich eine Weile kaputtlache.
Bei der Morgenmeditation am elften Tag kam mir dazu passend mein persönlicher Schlusssatz für diese 10 Tage Vipassana, frei nach Ludwig Wittgenstein:
Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man lachen.
Nun schreibe ich diesen Bericht am heutigen Montag, & es gibt schon wieder etwas neues zu berichten. Ich war nämlich direkt heute Mittag wieder floaten, dieses Mal gleich für zwei Stunden. Schon beim ersten Mal war es ja auch um meine Halswirbelsäule gegangen. Das Metaprogramm, das ich mir damals aneignete, wirkte offensichtlich nur auf der Oberfläche, denn darunter versteckten sich, wie ich nun weiss, die Impulse zu weinen. Die 2 Stunden verliefen ganz anders, als ich vermutet hatte. Das Fliessen im ganzen Körper, das ich während Vipassana immer wieder mal erlebt hatte, stellte sich erst recht spät und auch nur sporadisch ein. Anfangs spürte ich das Wasser sehr deutlich, & auch meinen Puls im ganzen Körper. Ich spürte sogar die feinen Wellen, die von meinem Puls im Wasser ausgelöst wurden. Erst mit der Zeit wurde ich so ruhig, dass das in den Hintergrund trat.
Auch im Tank spürte ich bald die Verspannung im Halsbereich. Und anders als beim Sitzen konnte ich die nun nicht mehr auf etwas Äußeres schieben wie das lange Sitzen. Denn im Tank kann sich der Körper wirklich komplett entspannen, er wird ja gehalten. Schmerzen aus Verspannungen sind also komplett selbst gemacht, weil ich etwas festhalte. Eine ganze Weile eierte ich herum, bis ich mir auch im Tank eingestand, dass ich die Tränen, das Weinen festhalte. Dann endlich liess ich die Tränen fliessen und weinte auch laut. Und das war soooo befreiend!!! Da konnte ich mich ganz mit dem Schmerz fallen lassen, mich dem warmen Wasser anvertrauen. Es ist ein wunderbares Gefühl, im Weinen so umfassend gehalten zu sein.
Boah. Das wirkt nach. Ich spüre richtig, wie sich mein Körper wieder mal reorganisiert. Und auch dieses Mal sind bei weitem noch nicht alle festsitzenden Tränen geflossen. Ich bleibe dran, versprochen!
Übrigens ging das Weinen irgendwann dann auch in Lachen über & wechselte dann ein paar Mal hin & her.
Mögen alle Wesen bewusst
am kosmischen Witz teilhaben!
Nachtrag: Ich habe mir heute 8 (in Worten: acht) Helge Schneider-CDs gekauft. Dieser Mann ist der einzige wahre Erleuchtete. Jemand, der sein erstes Album “Seine größten Erfolge” nennt! Lassen wir uns alle vom großen erhabenen Helge inspirieren. :-D
Update vom 09.04.: Jetzt wo alle vier Beiträge zur Theorie von Vipassana fertig sind, verlinke ich sie hier gesammelt: