Schlagwort: Beziehung
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Gesellschaftliche und globale Dissoziation
Je mehr ich mich mit dem psychischen Phänomen Dissoziation beschäftige, um so deutlicher erkenne ich Dissoziation auch gesellschaftlich & auf die ganze Menschheit bezogen. Was verstehe ich darunter?
Dissoziation besteht ja darin, dass sich ein Mensch nicht als eine einheitliche Person erlebt, sondern als eine Zusammensetzung mehrerer, voneinander getrennter Personen, die z.T. voneinander wissen, z.T. auch nicht.
Mich erinnert das an den Begriff der “Parallelgeselschaften”. Konkret fiel mir als erstes ein, was Rainer Voss in dem Film Master of the Universe über die Investmentbanking-Szene erzählt:
Die Superreichen bleiben unter sich, schotten sich in ihren Ghettos vom Rest der Gesellschaft ab. Kaum einer der Bundestagsabgeordneten wohnt in einer Mietwohnung. Unliebsame Menschen werden, wie Gustl Mollath, in die Psychiatrie abgeschoben. SexarbeiterInnen gelten von vornherein als unglaubwürdig, und wer containert, als asozial. Dabei ist doch wohl eher das massenweise Wegwerfen noch genießbarer Lebensmittel als asozial einzustufen.
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Wir leben im emotionalen Mittelalter
Diesen Satz aus dem Interview mit Teal Swan in der SEIN Die Mythen der Spiritualität finde ich so genial, dass ich ihn gleich als Überschrift nehme. Danke übrigens an Wulf Mirko Weinreich für die Empfehlung! Hier ein paar Ausschnitte aus dem sehr langen Interview:
Es geht nicht um Glückseligkeit. Ich sage dir, dass die glückselige Erfahrung, der Bliss, den viele Menschen Erleuchtung nennen, nur ein vorübergehender Zustand ist. Und wenn du solche Menschen triffst, die sich erleuchtete Meister nennen, so sind dies Leute, die es geschafft haben, häufiger und länger in diesem Zustand und dieser Frequenz zu bleiben. Aber wenn man einen genaueren Blick auf diese Menschen werfen kann, wird man feststellen, dass sie immense emotionale Schwankungen haben. Sie haben einfach nur keinen Widerstand dagegen. Sie können tief in das Leiden sinken, aber in der Regel ist davon äußerlich nichts zu sehen, weil sie keinen Widerstand gegen diese Gefühlszustände haben. Man kann die Wellen nicht sehen. Nehmen wir Jesus als Beispiel: Es ist nicht so, dass er in eine Lepra-Community geht und nichts als Freude und Staunen fühlt. Er lässt sich ein auf das Leid anderer Menschen und verbindet sich in diesen Raum, sinkt hinein, weil er keinen Zweifel hat, dass er auch zur anderen Seite des Spektrums aufsteigen kann. Es gibt keine Angst vor irgendeiner Form von Erfahrung, darum sieht man das Ego auch nicht kämpfen.
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Martin Buber: Ich und Du, das dialogische Prinzip
Beim letzten Seminar der Ausbildung in Prozessorientierter Psychologie stand Martin Buber im Mittelpunkt. Mit ihm hatte ich mich vorher noch nie beschäftigt, jetzt hat er mich gepackt. Das tut er vor allem durch seine Sprache, die einfach unglaublich ist. Ziemlich zu Beginn von Ich und Du schreibt er über einen Baum, und dieser kurze Ausschnitt hat mich schon völlig gefesselt:
Ich betrachte einen Baum. Ich kann ihn als Bild aufnehmen: starrender Pfeiler im Anprall des Lichts, oder das spritzende Gegrün von der Sanftmut des blauen Grundsilbers durchflossen. Ich kann ihn als Bewegung verspüren: das flutende Geäder am haftenden und strebenden Kern, Saugen der Wurzeln, Atmen der Blätter, unendlicher Verkehr mit Erde und Luft – und das dunkle Wachsen selber. Ich kann ihn in einer Gattung einreihen und als Exemplar beobachten, auf Bau und Lebensweise. Ich kann seine Diesmaligkeit und Geformtheit so hart überwinden, dass ich ihn nur noch als Ausdruck des Gesetzes erkenne – der Gesetze, nach denen ein stetes Gegeneinander von Kräften sich stetig schlichtet, oder der Gesetze, nach denen die Stoffe sich mischen und entmischen. Ich kann ihn zur Zahl, zum reinen Zahlenverhältnis verflüchtigen und verewigen. In all dem bleibt der Baum mein Gegenstand und hat seinen Platz und seine Frist, seine Art und Beschaffenheit. Es kann aber auch geschehen, aus Willen und Gnade in einem, dass ich, den Baum betrachtend, in die Beziehung zu ihm eingefasst werde, und nun ist er kein Es mehr. Die Macht der Ausschließlichkeit hat mich ergriffen. Dazu tut nicht not, dass ich auf irgendeine der Weisen meiner Betrachtung verzichte. Es gibt nichts, wovon ich absehen müsste, um zu sehen, und kein Wissen, das ich zu vergessen hätte. Vielmehr ist alles, Bild und Bewegung, Gattung und Exemplar, Gesetz und Zahl, mit darin, ununterscheidbar vereinigt. Alles, was dem Baum zugehört, ist mit darin, seine Form und seine Mechanik, seine Farben und seine Chemie, seine Unterredung mit den Elementen und seine Unterredung mit den Gestirnen, und alles in einer Ganzheit. Kein Eindruck ist der Baum, kein Spiel meiner Vorstellung, kein Stimmungswert, sondern er leibt mir gegenüber und hat mit mir zu schaffen, wie ich mit ihm – nur anders. Man suche den Sinn der Beziehung nicht zu entkräften: Beziehung ist Gegenseitigkeit. So hätte er denn ein Bewusstsein, der Baum, dem unsern ähnlich? Ich erfahre es nicht. Aber wollt ihr wieder, weil es euch an euch geglückt scheint, das Unzerlegbare zerlegen? Mir begegnet keine Seele des Baums und keine Dryade, sondern er selber.
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Aufgeben ist eine wichtige Konfliktlösungsstrategie
Na, die Überschrift reizt zum Widerspruch, oder? Sie ist das Ergebnis eines längeren Prozesses, dessen einer Höhepunkt die Beschäftigung mit Martin Bubers dialogischem Prinzip beim letzten Seminar der Prozessarbeits-Ausbildung war. Der andere Höhepunkt war die gestrige systemische Aufstellung bei Katharina Burmeister. Als ich vorhin mit dem Fahrrad durch den lauen Frühlingsabend fuhr, wurden mir zwei Dinge klar:
- Ich will in meinem Leben Meisterschaft im Umgehen mit Konflikten erlangen
- Aufgeben ist eine wichtige Konfliktlösungsstrategie
Was sträubt sich gegen diese zweite Aussage? Es ist das Ego, oder das Kleine Ich. Das Ego ist gar nicht bereit, Aufgeben überhaupt als Strategie zum Lösen eines Konflikts zu betrachten. Denn jedes Aufgeben ist ein verkleinertes Sterben, ein kleiner Ego-Tod.
Manchmal ist allerdings Aufgeben die einzige Möglichkeit, einen Konflikt ohne Gewalt zu lösen. Wer diese Möglichkeit nicht sehen will, verrennt sich dann in Kämpfen verschiedenster Art.
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Feindschaft macht dumm
Schon in meinem Beitrag zum Charlie Hebdo-Anschlag hatte ich vor dem Teile & Herrsche-Prinzip gewarnt, das einen Keil zwischen uns Menschen treibt. Deswegen wurde mir allen Ernstes Antisemitismus vorgeworfen. Das ist natürlich allein deshalb schon absurd, weil es da weit und breit gar nicht um Juden geht.
Davon abgesehen wollte ich darauf hinaus, dass es Kräfte gibt, die uns Menschen zu Feinden machen wollen. Diese Kräfte wirken in jedem einzelnen von uns und manifestieren sich in unterschiedlichster Weise. Antisemitismus ist eine Form davon und widerspricht damit völlig den Aussagen im Charlie Hebdo-Beitrag.Eine Vorstufe oder abgeschwächte Form von Feindschaft ist Konkurrenz, wie ich im Beitrag über Lernen im 21. Jahrhundert dargelegt habe.
Darüber hinaus macht Feindschaft tatsächlich dumm. Damit meine ich nicht, dass die einzelnen Feinde als Menschen dümmer werden, nur weil sie sich als Feinde verhalten. Sondern die Menschheit als Ganzes im Sinne der kollektiven Intelligenz wird dadurch dümmer als sie sein könnte, wenn wir alle zusammen arbeiten würden.
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Jedes Wachstum endet spätestens mit dem Tod
Die Degrowth-Konferenz mit ihren Tausenden Teilnehmern und Hunderten von Veranstaltungen hatte einen blinden Fleck: Die Tatsache, die sich in der Überschrift findet. Dabei ist der Zusammenhang doch so nahe liegend. Jedes Lebewesen wächst über einen gewissen Zeitraum und stirbt irgendwann. Dann, spätestens, ist es vorbei mit dem Wachsen, dann kommt der Zerfall.
Solange selbst wir Degrowth-Aktivisten diese unerbittliche Tatsache ausblenden, werden wir keine umfassenden Lösungen finden, wie wir ohne Wachstum wirtschaften können.Auf diesen Zusammenhang bin ich erst beim Lesen der oya-Ausgabe endlich leben gekommen.
Im Rahmen des Heftes wurde dieses Gespräch aufgenommen:
Damit schließen sich diese Überlegungen direkt an den Beitrag über Makellosigkeit an. Die Grundvoraussetzung für makelloses Handeln ist, den Tod als unabänderliche Tatsache anzuerkennen und sogar als Ratgeber für sich anzunehmen. Dazu noch mal ein Zitat von Don Juan Matus aus Reise nach Ixtlan:
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Postwachstum - es ist Zeit, er-wachsen zu werden
Schon wieder hat mich Charles Eisenstein auf einen Zusammenhang gebracht, der, wenn er denn dann mal dasteht, eigentlich nahe liegt. Er betrachtet nämlich die Menschheit als ein organisches Ganzes. Aus dieser Sichtweise sind wir gerade am Ende der Pubertät angekommen, die Menschheit ist noch jugendlich & gerade dabei, er-wachsen zu werden:
Bis jetzt waren wir Menschen wie Kinder in der Beziehung zur Erde. Es begann im Schoß der Erde, als wir in unserer Jäger- und Sammlerexistenz nicht zwischen Mensch und Natur unterschieden, sondern in sie eingebettet waren. Ein Neugeborenes kann kaum zwischen sich und der Welt unterscheiden. Es braucht Zeit, um eine Identität und ein Selbstgefühl zu entwickeln und zu lernen, dass die Welt kein Körperteil von ihm ist. So war das auch für die Menschheit. Während der Jäger und Sammler keine Vorstellung von einer getrennten “Natur” hatte, die sich vom “Menschlichen” unterschied, lernten die Menschen, die Ackerbau und Viehzucht betrieben, die Natur als eine getrennte Kategorie zu begreifen – hing doch ihr Wohlergehen davon ab, dass sie die Natur zum Objekt machten und manipulierten. In den agrarischen Zivilisationen, während ihrer „Kindheit“, entwickelte die Menschheit eine eigenständige Identität und wurde groß. Unser pubertärer Wachstumsschub erfolgte im Industriezeitalter. Und auf geistiger Ebene erreichten wir durch die objektivierende Wissenschaft einen Zustand der äußersten Getrenntheit, entwickelten ein voll ausgeprägtes Selbstgefühl mit der Hyperrationalität des Teenagers. Dieser schließt die letzte Phase der kognitiven Entwicklung ab, das formal-operationale Denken, das ihn dazu befähigt, abstrakte Inhalte zu verarbeiten – wie auch die Menschheit, als sie in das Zeitalter der Wissenschaft eintrat. Aber wie das äußerste Yang die Geburt des Yin beinhaltet, so trägt das äußerste Stadium der Getrenntheit in sich schon den Samen für das, was als nächstes kommt: die Wiedervereinigung.
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Die Opportunitätskosten des Opportunitätskostenkalküls
Die Überschrift wirkt auf die meisten von euch, die keine Ökonomen oder WiWi-Studierende sind, bestimmt abschreckend. Das dahinter stehende Konzept ist aber einfach zu verstehen, also nicht verzagen, sondern weiterlesen! :-)
Dieses Semester hadere ich ohnehin schon mit Mikroökonomie, nachdem ich nun ne ganze Woche + Montag nicht da war, hatte ich einiges nachzuholen. Anlässlich dessen habe ich mir mehrere Bücher ausgeliehen, u.a. Ferry Stockers Spaß mit Mikro. Praktische Mikroökonomik für (ver)zweifelnde Studierende in der 6. Auflage. Das Buch ist ziemlich cool, um in das volkswirtschaftliche Denken hineinzukommen. U.a. auch dafür studiere ich ja Wirtschaftswissenschaften. Allerdings sind mir inzwischen auch die Unzulänglichkeiten dessen noch mal deutlicher geworden.
Ferry Stocker geht in seinem Buch von den Opportunitätskosten aus, die mit jeder Entscheidung verbunden sind. Was ist das? Nun, schlicht der Nutzen, der mir dadurch entgeht, dass ich mich nicht für etwas anderes entschieden habe. In Stockers Worten:
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Worldwork in Warschau
Nach über einer Woche komme ich nun endlich dazu, euch von Worldwork 2014 in Warschau zu berichten, wo ich letzte Woche dabei war. Das war einfach der Oberhammer! Direkt im Anschluss bin ich auch noch zum nächsten Seminar meiner Prozessarbeit-Ausbildung gefahren. Insgesamt war das eine der intensivsten Wochen meines Lebens.
So intensiv übrigens, dass ich am Montag körperlich so kaputt war, dass ich fast den ganzen Tag im Bett lag. Über die Woche habe ich mich nun einigermaßen erholt & dabei festgestellt, dass ich in der kurzen Zeit doch ne ganze Menge Unistoff nachzuholen habe.Worldwork, Weltarbeit, was ist das eigentlich? Nach meiner Erfahrung bezeichne ich es als die Königsdisziplin der Prozessarbeit. Prozessorientierte Psychologie entstand ja in Zürich, wo Arnold Mindell die Jungsche Psychologie dahingehend erweiterte, dass er körperliche Symptome und Signale einbezog. Auch den Begriff des Träumens erweiterte er in dieser Hinsicht (der Körper träumt durch seine Symptome und Signale).
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Nutzen, Be-nutzen, Verlangen und Abneigung
Während ich heute den ganzen Nachmittag im Liegestuhl auf dem Balkon gelegen habe, ist mir etwas klar geworden. Momentan hadere ich sehr mit dem Stoff der Mikroökonomik-Vorlesung, vor allem mit dem Begriff des Nutzens und dass er mittels mathematischer Nutzenfunktionen als Indifferenzkurven dargestellt wird.
Was mir jetzt klar geworden ist (natürlich auch inspiriert durch Karl-Heinz Brodbeck): in buddhistischen Begriffen ist so eine Indifferenzkurve bzw. Nutzenfunktion nichts anderes als Verlangen und Abneigung (zwei der drei Geistesgifte) in eine mathematische Form gebracht und damit massiv verfestigt. Ich zitiere mal direkt aus Wikipedia: Wird ein Zustand, beispielsweise der Besitz eines bestimmten Gutes, einem andern Zustand vorgezogen (Präferenz), so hat der erste Zustand definitionsgemäß einen höheren Nutzen. Diese Präferenz drückt das Verlangen (die Gier) aus, eine negative Präferenz entsprechend die Abneigung (den Hass).
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