Traumaufgaben und Beziehungsarbeit
Hier im Blog habe ich bisher sträflich vernachlässigt, über die Ausbildung in Prozessorientierter Psychologie nach Arnold Mindell bei Sebastian Elsaesser zu schreiben, die ich parallel zu meinem Studium der Wirtschaftswissenschaften ebenfalls letzten Herbst begonnen habe und die ebenfalls drei Jahre dauert.
Jetzt komme ich gerade vom vierten Seminar der Ausbildung, wobei es im Laufe des Jahres 2013 darüber hinaus auch schon drei Einführungsseminare gab. Bisher fanden die alle in Stuttgart statt, dieses Mal waren wir das erste Mal im Seminarhaus im Kieselhof, das ist sehr weit abgeschieden im Schwabeländle. “Wir” sind insgesamt 14 Leute aus unterschiedlichen Kontexten + Sebastian.
Wer jetzt kombiniert, dass daher wohl mein wieder erwachtes Interesse an Träumen stammt, liegt richtig. :) Alle bisherigen Seminare des Ausbildungscurriculums beschäftigten sich mit den und auch mit dem Träumen (was etwas viel Umfassenderes meint als nur das nächtliche Träumen, Mindell beschreibt das sehr gut in seinem Buch “24 Stunden luzid träumen”, auf das ich an anderer Stelle schon hingewiesen hatte), und auch schon bei den Einführungsseminaren gab es eine Konstante: den morgendlichen Traumkreis.
Dieses Mit-Teilen, das Miteinander-Teilen der Träume hat eine ganz besondere Qualität. Zum einen nimmt es den Träumen ein gutes Stück den Charakter des Privaten. Es ist dann nicht mehr “mein ganz persönlicher Traum”, sondern mindestens auch ein Traum der Gruppe. Außerdem bekommen die Träume ein viel größeres Gewicht dadurch, dass wir sie als Gruppe in den Mittelpunkt stellen. Es gibt dafür auch den Begriff des “sozialen Träumens”.
Das ging dieses Mal noch einen Schritt weiter durch die Arbeit mit Traumaufgaben. Die hat mich echt beeindruckt und erst mal vor allem neue Fragen aufgeworfen. Wie geht das mit den Traumaufgaben? Du schaust dir einen Traum an, ganz nüchtern, fast wie eine Filmanalyse, aber auch mit deinen eigenen Gefühlen im Traum usw. Daraus entwickelst du zunächst, was für eine Frage der Traum an dich richtet. Und aus dieser Frage wiederum findest du – dabei immer nahe am Traum bleibend – eine konkrete Aufgabe, eine Tat, die dich der Traum auffordert zu tun. Wir haben das in Kleingruppen gemacht, was noch mal besonders cool war. Natürlich ist das vollkommen freiwillig, der Traum kann dich ja nicht zwingen, etwas Bestimmtes zu tun, & doch lässt du durch die Traumaufgabe ein Stück den Traum dein Leben leiten.
Die Tragweite des Ganzen wurde mir vor allem an einem Großen Traum deutlich, den eine Teilnehmerin einbrachte. Dieser Traum umfasst ihr ganzes Leben, er ist eine Lebensaufgabe. Und wenn sie diesen Traum, so gut wie sie kann, lebt, dann erfüllt er sich in ihrem Leben, so dass sich im Tod quasi Lebenstraum & Leben gegenseitig auslöschen.
Das lässt mich noch mal ganz neu über den Freien Willen nachdenken… Siehe dazu auch Willkommen in der Simulation.
Und gerade durch diesen Zugang zu den Träumen und wie man sie ins Leben integrieren kann, bin ich wieder stark ins Hadern mit der Wirtschaftswissenschaft gekommen. Denn die betrachtet alles unter dem Aspekt der Nützlichkeit, des Nutzens. Der homo oeconomicus ist ein “rationaler Nutzenoptimierer”. Eine Traumaufgabe auszuführen ist nun weder rational noch ökonomisch nützlich. Und doch spüre ich, dass darin das Leben steckt & nicht in der routinemäßigen Optimierung eines in Geld gemessenen Nutzens. Wobei die Nutzenoptimierung als Werkzeug ja durchaus nützlich (sic!) ist. Was wir allerdings in immer stärkerem Maße erleben, ist, dass wir “die Wirtschaft” über alles andere stellen und damit ein Mittel zum (Selbst-) Zweck machen. Der Sinn meines Lebens kann es nicht sein, meinen Nutzen zu optimieren. Siehe dazu die Gemeinwohl-Ökonomie und Holacracy.
Nun aber zurück zur Prozessarbeit von Arnold Mindell, die übrigens ursprünglich Traumkörperarbeit hieß & aus der Jungschen Psychotherapie hervorging. Das gerade vergangene Seminar bedeutete auch den Übergang von der Traum- zur Körperarbeit. Dabei wurde sinnvollerweise zuerst Wilhelm Reich behandelt sowie die von seinem Schüler Alexander Lowen begründete Bioenergetische Analyse. Das erinnert mich übrigens daran, dass ich noch auf meiner Agenda habe, Reichs Buch The Murder Of Christ zu lesen. Zu Wilhelm Reich empfehle ich besonders Hannelore Voniers Blog Rette sich, wer kann!
Das war mir zum guten Teil schon bekannt, in meiner “dunklen Phase” des Abbruchs meines Informatikstudiums hatte ich mich viel mit diesen Themen beschäftigt. In der Zeit habe ich auch bereits mein erstes Buch von Mindell gelesen, The Shaman’s Body (auf deutsch “Den Pfad des Herzens gehen”). Das kam im Beitrag zur Mindellschen Traumkörperarbeit wieder vor. Da konnte ich noch mal gut zurückblicken, wie lange Zeit mich das Buch & das Thema schon begleiten & wie viel ich davon inzwischen schon verinnerlicht & in mein Leben integriert habe. Es war oft nicht einfach & hat auch ganz schön lang gedauert. Dafür sitzt die Lektion richtig tief. :)
Jedenfalls kenne ich diese Art der Körperarbeit & habe schon viel Lebensenergie wieder zum Fließen gebracht, & dennoch: mich traf heute morgen mit aller Wucht die Erkenntnis, wie tief auch in unserer Gruppe noch das Tabu der Sexualität sitzt. Dabei ist das ja schließlich die elementare Lebenskraft, das was die in der ursprünglichen Teilung der Dualität getrennten Pole wieder vereinigt. Und doch: über Details redet man nicht. Das ist “Privatsache”. Auch ich, der ich schon einige Tantraseminare im Diamond Lotus mitgemacht habe, bin erst nach zwei Tagen überhaupt auf die Idee gekommen, das mal zu hinterfragen.
So, nun habt ihr im Titel ja auch das Wort Beziehungsarbeit gelesen. Das ist für mich der heißeste Aspekt an der ganzen Prozessarbeit, das in Beziehung gehen. An dieser Stelle zitiere ich daher noch mal Abdi Assadi, wie ich es schon im Bewusstseinsraketentreibstoff getan habe:
Wirklich wach zu bleiben in einer Beziehung, ist das Härteste, was du tun kannst.
Da habe ich in den vier Seminaren & auch schon in den Einführungsseminaren echt viel gelernt, & das wo das Thema noch gar nicht im Mittelpunkt steht. Aber natürlich gehen wir automatisch miteinander in Beziehung. Das lässt sich gar nicht vermeiden, die Frage ist eben nur: wie? Also in welcher Qualität, ob es eine tiefe Herzverbindung ist oder nur eine Scheinbeziehung, die auf den gegenseitigen Vor-Stellungen & Vor-Urteilen basiert.
Schon in der Schule habe ich ausgiebig das Phänomen Vorurteil beobachtet & analysiert, aber eben nur mit dem Kopf, nur in Gedanken. Auf dieser Ebene kommt man aber gar nicht aus den (Vor-) Urteilen raus. Die Funktion des Verstandes ist es, zu unterscheiden, zu trennen, auseinander zu nehmen & zu halten. Damit ist er (wie die Funktion des Nutzenoptimierens) ein nützliches Werkzeug, aber mehr eben auch nicht. So kam es, dass ich mit dem Verstand Vorurteile aller Art ablehnte, sie aber dennoch im Alltag ständig praktizierte. Denn der Verstand kennt nur abstrakte (!) Werte von “Gut” & “Böse” oder “Schlecht”, in die er im Grunde willkürlich alles einsortiert. Das Herz hingegen fühlt, ohne zu urteilen. Und durch Mit-Fühlen entsteht die Herzverbindung, die Beziehung. Egal welche Gefühle gerade da sind. Das geht um so besser, je mehr der Mensch geübt ist, alle Gefühle einfach so sein zu lassen & sie weder loswerden noch festhalten zu wollen (das, was die Buddhisten sehr prägnant Verlangen und Abneigung nennen, zwei der fünf Kleshas).
Das ist doch ein gutes Schlusswort um 01:36. Schlaft gut und träumt intensiv & vielfältig!