Warum die Wirtschaftswissenschaft keine Prognosen abgeben kann
Was bis auf den heutigen Tag (ich bin ja gerade Zeuge davon) an den Universitäten als Wirtschaftstheorie gelehrt wird, ist im Wesentlichen eine mechanische Theorie, wie Karl-Heinz Brodbeck es nennt. Die Neoklassische Theorie geht davon aus, dass Menschen sich wie Automaten verhalten – der homo oeconomicus. Wie Renée Menéndez sehr treffend schreibt:
das markwirtschaftliche Modell garantiert nichts anderes, als daß es bei “rationalen” (widerspruchsfreien) Präferenzen die Möglichkeit(!) gibt, daß es zu einem allgemeinen Gleichgewicht kommt – mehr nicht!
Mit einem solchen Modell sind weit und breit keine “empirischen Prognosen” möglich, anders als es Milton Friedman mit seinem Konzept von Positive Economics behauptet.
Karl-Heinz Brodbeck zeigt das formal stringent in seinem Aufsatz Wirtschaft als kreativer Prozess. Beiträge zu einer postmechanischen Ökonomie, in kürzerer Form und nicht so formal mit der gleichen Überschrift und dem Untertitel Wie ein weicher Faktor harte Tatsachen schafft.
Kurz gesagt muss sich jede mechanische Theorie, die ihren Gegenstand als strikt getrennt von der Theorie selbst betrachtet, in logische Widersprüche verwickeln, sofern ihr Gegenstand menschliches Handeln ist. Denn dieses ist immer geprägt durch Theorien. Albert Einstein formulierte es so:
Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann.
Der Kernpunkt ist die Handlungs_freiheit_ der Menschen. Brodbeck schreibt:
Wenn man Wahlhandlungen modelliert, dann hebt man die Entscheidungsfreiheit des Entscheidungssubjekts auf. Stellt man die Wahlhandlung durch eine Präferenzfolge dar, so eliminiert man das Entscheidungssubjekt. Freiheit bedeutet immer auch die Freiheit, sich anders zu verhalten, als ein Modell beschreibt. Sonst wäre es keine Freiheit. Und die Freiheit ist spontan, also nicht vorhersagbar. Wenn ein Modell M das Verhalten von Menschen beschreibt, so bedeutet Freiheit immer, dass man es auch ablehnen kann, sich gemäß M zu verhalten.
Insofern ist es nicht gerechtfertigt, im Fach Wirtschaftswissenschaften einen Bachelor of Science zu verleihen. Wirtschaftswissenschaft ist keine Naturwissenschaft, sondern eine Sozialwissenschaft.
Nachtrag: Sogar in die von mir immer sehr misstrauisch beäugten Gleichgewichtsmodelle bringt Brodbeck Licht:
Gleichgewichte sind eigentlich wiederholte Handlungen. Wenn alle Aktoren eines betrachteten Systems ihre Handlungsprogramme wiederholen, wenn wir also ein Gewohnheitssystem betrachten, dann lässt sich für solch ein System der Fall diskutieren, bei dem Preise unverändert bleiben, von Preisänderungen also kein Signal ausgeht, das zu einer Änderung der Gewohnheiten auffordert.
Und noch ein Zitat zum Wettbewerb:
Der Wettbewerb ist – wie sich zeigte – nicht eine passive Anpassung an fiktive Gleichgewichte, er ist die Durchsetzungsmethode für „neue Spiele mit neuen Regeln“, also für neue Märkte, neue Produkte, neue Aufteilungen der Eigentumsrechte, kurz: neue Gewohnheiten, und er zerstört alte Gewohnheiten: Betriebsformen, Techniken und Konsumstile.
Wolfgang Berger formuliert in seinem Buch Business Reframing, dass Wirkungen sich ihre Ursachen suchen. Bingo!
Update vom 22.10.2014: Heute habe ich ein Buch entdeckt, das die Wirkung von (ökonomischen) Theorien auf die Wirtschaftsteilnehmer empirisch untersucht: Reflexivity in Economics.