Was ist eigentlich Altersvorsorge?
Was genau tun Menschen eigentlich, wenn sie “fürs Alter vorsorgen”? Damit ist in der Regel gemeint, dass sie finanziell vorsorgen, also “sparen”. Sie legen also Geld “auf die hohe Kante”, damit sie auch später, wenn sie mal nicht mehr so leistungsfähig sind, am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben können.
Damit drücken diejenigen, die finanziell für ihr Alter vorsorgen, das Vertrauen aus, dass auch dann noch soziale Strukturen vorhanden sein werden, die für ihr Wohl sorgen, was sie aus eigener Kraft nicht mehr können. In diesem Fall ist das konkret ein Markt für Güter und Dienstleistungen. Das Vertrauen erstreckt sich auch darauf, dass prinzipiell noch genügend Güter und Dienstleistungen, also genügend gesellschaftlicher Wohlstand vorhanden sein wird.
Wer dieses Vertrauen nicht hat, legt statt Geld lieber physische Vorräte an (Konserven, Holz, Heizöl usw.), hält sich körperlich fit oder macht sogar Survival-Training.
Bleiben wir daher bei der großen Mehrheit, die fürs Alter spart, nach dem Vorbild der schwäbischen Hausfrau, mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Verwerfungen. Denn, wie LeserInnen meines Blog von der Saldenmechanik wissen, entsprechen die Guthaben in einer Volkswirtschaft genau den Schulden; was “gespart” wird, verbuchen andere also in exakt gleicher Höhe als Schulden. Wenn diese Guthaben dann noch garantiert verzinst werden, nimmt das exponentielle Wachstum seinen Lauf, wie ich im Beitrag über den Zins ausgeführt habe. Und das kann bekanntlich auf Dauer nicht gut gehen.
Kommen wir zurück zum Vertrauen. Grundsätzlich vertraut, wer finanziell vorsorgt, wie gesagt darauf, dass auch im Alter der gesamtgesellschaftliche Kuchen noch groß genug sein wird, dass alle etwas davon abbekommen. Nun könnte man sagen, je mehr jemand “spart”, um so weniger vertraut sie oder er darauf, und will deshalb möglichst viele Zahlungsmittel ansammeln. Mit diesen lassen sich in einer Situation allgemeiner Knappheit die anderen dazu bewegen, vom Kuchen etwas abzugeben, sofern diese nämlich selber verschuldet sind.
Genau betrachtet ist das sogar eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Das Geld, das ich jetzt “spare”, gebe ich nicht aus, konsumiere es also nicht. Das heißt, es kommt auch nicht als Umsatz in die Kassen der Unternehmen, die damit leichter weitere Produktion finanzieren könnten als mit Fremdkapital. Götz Werner von dm hat ja diesen klugen Ansatz, dass er sagt, die KäuferInnen bezahlen nicht die bis zum Endprodukt aufgelaufenen Kosten, sondern sie ermöglichen die zukünftige Produktion.
Mit anderen Worten, in dem Maße, in dem ich “spare”, reduziere ich das zukünftige Angebot an Waren und Dienstleistungen. Und damit wird der zukünftige Kuchen kleiner.
Wenn ich gar nicht “spare”, sondern mein ganzes Einkommen ausgebe, d.h. verkonsumiere, sorge ich dafür, dass “der Rubel rollt” und der zukünftige Kuchen größer wird.
Dann allerdings hängt alles daran, inwieweit ich darauf vertraue, dass ich von dem in Zukunft noch größeren Kuchen etwas abbekomme, ohne eine direkte Gegenleistung geben zu können. Letzten Endes trage ich zu diesem Kuchen ja durch meinen jetzigen Konsum, durch mein Nicht-Sparen bei.
Diese Überlegung gilt auch dann, wenn das “Sparen” nicht zu insgesamt weniger Konsum führt, weil andere sich insgesamt genauso oder noch höher zu Konsumzwecken verschulden. Denn dann ist der Kuchen an Waren und Dienstleistungen nachher zwar noch groß genug, aber die Vermögen & Schulden sind so angewachsen, dass die Kaufkraft des “gesparten” Geldes erheblich gesunken ist. Dann hat das “Sparen” im Endeffekt nichts gebracht (diese Situation haben wir heute).
Auch Geld kann konsumiert werden, & zwar auf zwei Wegen: Entweder indem es eine Schuld tilgt, oder durch Bankrott. In beiden Fällen ist das Geld ein für alle Mal weg, mithin konsumiert. “Sparen” heißt ja Konsumverzicht. Will sagen, wer Geld spart, verzichtet darauf, Schulden zu tilgen. Das zwingt dann wiederum die Schuldner entweder zum Aufschulden oder treibt sie in den Bankrott.
Junge, Junge, mir war ja überhaupt nicht klar, wie fies “Sparen” tatsächlich ist.
Und dem Ganzen liegt eben das Misstrauen in die Zukunft & die Mitmenschen zugrunde. Und damit sind wir abschließend wieder bei Charles Eisenstein, in dessen Buch ich inzwischen auf Kapitel 6 angekommen bin.
Ergänzung: Ein weiterer wesentlicher Grund ist, dass die Menschen sich heute als vereinzelte, isolierte Individuen betrachten und auch so behandeln. Wer sich als Teil eines Stammes oder einer Großfamilie betrachtet, kann einfach davon ausgehen, dass natürlich im Alter seine Leute ihn mit versorgen werden. Zu einem Neugeborenen sagt ja auch niemand “Es gibt kein Recht auf Faulheit!”
Erst die Industriegesellschaft hat aus individueller Altersvorsorge überhaupt ein Problem gemacht.
Nachtrag vom 11.05.2015: Charles Eisenstein treibt meine Überlegungen noch mal auf die Spitze, wie ich im Beitrag Reiche, verschenkt euren Reichtum und ihr werdet reich bleiben ausführe.
Nachtrag vom 03.02.2017: Peter Bofinger nimmt im Interview mit OXI den Mythos der schwäbischen Hausfrau weiter auseinander:
Denn es stimmt ja nicht einmal, dass die schwäbische Hausfrau keine Schulden macht. Wenn es darum geht, das »Häusle« zu bauen, hat sie keine Bedenken, dafür einen Kredit aufzunehmen.