Die Cypherpunks und die Blockchain
Im Februar hatte ich schon mal festgestellt, dass mich das Blockchain-Thema so schnell offenbar doch nicht loslässt. Deshalb widme ich mich in diesem Beitrag den geistigen/ideologischen Hintergründen der Blockchain-Technologie.
Diese wurzelt in der Bewegung der Cypherpunks seit Ende der 80er Jahre. Die Cypherpunks widmeten sich der Datenverschlüsselung, wie auch Verfahren zur Anonymisierung in Datennetzen. Von ersterem rührt der Name, auf Englisch heißt Verschlüsselungs-Algorithmus nämlich Cipher. Das Punks im Namen deutet schon darauf hin, dass sich die Bewegung eher als Widerstand im Untergrund verstand.
Die Cypherpunks lebten größtenteils in den USA – dem Land, in dem Ayn Rand die meistgelesenste Autorin war und ist. Das färbt auch auf Untergrund-Gruppen ab, bei den Cypherpunks ist das für mich sehr deutlich.
Der heutzutage bekannteste Cypherpunk ist sicherlich Julian Assange, und damit gleichzeitig eine Ausnahme, denn der stammt bekanntlich aus Australien.
Das Gründungsdokument der Cypherpunks ist das Crypto Anarchist Manifesto. Der Titel macht klar, warum mich das Thema nicht loslässt, denn es geht um Anarchismus, wenn auch nicht um Inneren. Aus diesem Manifest scheint ein aus meiner heutigen Sicht naiv erscheinender Techno-Optimismus durch:
Just as the technology of printing altered and reduced the power of medieval guilds and the social power structure, so too will cryptologic methods fundamentally alter the nature of corporations and of government interference in economic transactions. Combined with emerging information markets, crypto anarchy will create a liquid market for any and all material which can be put into words and pictures.
Wie ich an anderer Stelle schon schrieb, war (und ist) das einer der vielen zum Scheitern verurteilten Versuche, soziale Probleme technisch zu lösen.
Der Artikel What Is Crypto-Anarchism And How Is It The Most Successful Branch of Libertarianism? erläutert die geistig-ideologischen Grundlagen näher. Zunächst geht er auf die bis heute anhaltenden Crypto Wars ein, denn natürlich versuchen alle Regierungen, allen voran die US-Regierung, die Technologien der Cypherpunks zu entschärfen. Der Anarchist in mir findet deshalb Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechniken zur Abwehr staatlicher Akteure eine gute Sache. Allerdings bevorzuge ich den Weg der Transparenz gegenüber dem Weg der Geheimhaltung, den ich schon aus kosmischer Sicht für einen groben Irrtum halte.
Im weiteren Verlauf des Artikels feiert dieser den Marktradikalismus, der durch die Cypherpunk-Ideen befördert wird, nach der Manier der Voluntaristen. Ayn Rand lässt grüßen.
Der nächste Baustein der geistigen Hintergründe der Blockchain-Technologie ist die Hackerethik, von der in diesem Zusammenhang vor allem dieser Punkt wichtig ist:
Mißtraue Autoritäten – fördere Dezentralisierung
Die Dezentralisierung und das (vermeintliche) Verzichtenkönnen auf Autoritäten ist ja eines der Hauptargumente für Blockchain.
Der nächste, nun mehr technische Baustein ist das Hashcash-Verfahren, das ursprünglich entwickelt wurde, um Spam zu bekämpfen. Dabei sollten sendende Mailserver jeweils einen gewissen Rechenaufwand leisten müssen, um eine Mail ausliefern zu dürfen. Das war die Geburtsstunde des Proof of Work.
Dessen Anwendung auf Zahlungssysteme kam von Wei Dai mit dem Vorschlag des b-money. Darin wird die Krypto-Anarchie auf die Spitze getrieben:
Unlike the communities traditionally associated with the word “anarchy”, in a crypto-anarchy the government is not temporarily destroyed but permanently forbidden and permanently unnecessary.
Mehr zu Hashcash findet sich im Paper Hashcash – A Denial of Service Counter-Measure von Adam Back.
Das alles führt dann schließlich am 31. Oktober 2008 zu dem berühmten Whitepaper Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, das unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto veröffentlicht wurde. Das diagnostiziert den Zahlungssysteme im Internet, die auf finanziellen Institutionen beruhen,
inherent weaknesses of the trust based model.
Vertrauen in Dritte gilt es also abzuschaffen und durch Vertrauen in Programmcode zu ersetzen. Das steht da nicht so, doch ohne Vertrauen in die Bitcoin-Software würde niemand Bitcoin freiwillig benutzen. Das Vertrauen wird also de facto nur verlagert. Und der Gag ist, dass auch Bitcoin auf mehrheitlich ehrliche Teilnehmerinnen am System angewiesen ist:
The system is secure as long as honest nodes collectively control more CPU power than any cooperating group of attacker nodes.
Unterm Strich ist die Wurzel von Blockchain und Kryptowährungen der Ansatz der Cypherpunks, Einzelne mit technischen Mitteln vor Übergriffen des Staates zu schützen. Anders ausgedrückt ist das die technologische Version des Individualanarchismus. Einzelne sollen über digitale Infrastrukturen Waren und Meinungen austauschen – und dabei vereinzelt bleiben.
Ich halte es da mit dem komplementären Ansatz des kollektivistischen Anarchismus, den Ton Steine Scherben so treffend vertont haben:
Siehe auch [Wellness vs. Solidarität](/wellness-vs-solidarität).Rainer Rehak kommt in seinem Artikel Die Blockchain politisch gelesen. Vom Experiment einer Gesellschaft ohne Vertrauen auch zu dem Schluss
Der ewige Wunsch, soziale und gesellschaftliche Probleme durch neutrale Technik lösen zu wollen, bleibt auch mit der Blockchain unerfüllbar. Sie lässt die Intermediäre nicht verschwinden, sondern verschiebt sie nur in Bereiche, die technisch nicht mehr direkt abbildbar sind. Zudem folgen die Versuche, Intermediäre aufzulösen, dem neoliberalen Mantra der Individualisierung gesellschaftlicher Risiken: Wesentliche Verantwortung liegt wieder auf den Schultern der einzelnen Person. Wehe denen, die ihr Erspartes durch einen Hack verlieren, weil der heimische Rechner und damit das Bitcoin-Portemonnaie nicht hinreichend abgesichert oder der smarte Rentenvertrag schlecht programmiert war.
So gesehen ist Blockchain (jedenfalls in der Anwendung auf Kryptowährungen) eine zutiefst unsolidarische Technologie. Da erinnere ich noch mal an den schon früher verlinkten Artikel im Neuen Deutschland, der Blockchain als “codegewordenen Neoliberalismus bezeichnet”.
Nachtrag vom 13.08.: Endlich komme ich mal dazu, die Chaosradio-Folge 269 “Blockchain, die” (der Titel ist Englisch zu lesen und auszusprechen) zu hören. Ich kann sie euch weiterempfehlen. Und wer bei den absoluten technischen Grundlagen einsteigen will, kann das bei Folge 169 “Bitcoins” tun. Übrigens rückt bei Bitcoin eine 51%-Attacke durch Bitmain in greifbare Nähe.