Free Julian Assange!

Diesen Bericht zu lesen, hat mich zutiefst erschüttert. Ich weiss gar nicht wo ich anfangen soll, Einzelheiten zu zitieren, das ganze “Gerichtsverfahren” (man muss das Wort in diesem Fall in Anführung setzen) ist einfach unfassbar. Die pure staatliche Willkür, und eine Machtdemonstration der USA.

Mir bleibt gerade nur, Matt Taibbis Forderung zu bekräftigen: Julian Assange Must Never Be Extradited.

Und Roger Waters hat im September vor dem Gefängnis, in dem Assange sitzt, Wish you were here gesungen. Recht hat er.

Auch Paul Craig Roberts fordert: We must act now to save Julian Assange and the Rule of Law.

Und bei Telepolis gibt es mehr Hintergründe zu dem Ermittlungsverfahren in Spanien.

Nachtrag vom 08.11.: Und ich frage mit John Pilger Did this happen in the home of Magna Carta?

Nachtrag vom 17.11.: Unterstützung für Julian Assange konsolidiert sich.

Nachtrag vom 29.12.: Auch beim 36C3 war der Fall Assange Thema – The Case Against WikiLeaks: a direct threat to our community.

Nachtrag vom 10.01.2020: Der deutlich gruseligere Vortrag beim 36C3 ist [der von Andy Müller-Maguhn über die Überwachung der ecuadorianischen Botschaft](Autsch: https://media.ccc.de/v/36c3-11247-technical_aspects_of_the_surveillance_in_and_around_the_ecuadorian_embassy_in_london). Der hat mich nun auch dazu gebracht, 1.000 € an die Wau-Holland-Stiftung zu spenden.

Ich möchte übrigens in dem Zusammenhang noch mal daran erinnern, dass der IWF Ecuador am 21. Februar 2019 einen 4,2 Mrd. $-Kredit gewährt hat – gerade mal 49 Tage bevor Ecuador das Asyl für Assange aufgehoben hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Nachtrag vom 06.02.2020: Der UN-Sonderberichterstatter über Folter Nils Melzer klagt an im Interview mit der Schweizer Zeitung “Republik” – «Vor unseren Augen kreiert sich ein mörderisches System». Auf die Frage “Warum haben Sie sich denn nicht viel früher mit dem Fall befasst?” antwortet er:

Stellen Sie sich einen dunklen Raum vor. Plötzlich richtet einer das Licht auf den Elefanten im Raum, auf Kriegs­verbrecher, auf Korruption. Assange ist der Mann mit dem Schein­werfer. Die Regierungen sind einen Moment lang schockiert. Dann drehen sie mit den Vergewaltigungs­vorwürfen den Lichtkegel um. Ein Klassiker in der Manipulation der öffentlichen Meinung. Der Elefant steht wieder im Dunkeln, hinter dem Spotlight. Stattdessen steht jetzt Assange im Fokus, und wir sprechen darüber, ob er in der Botschaft Rollbrett fährt, ob er seine Katze richtig füttert. Wir wissen plötzlich alle, dass er ein Vergewaltiger ist, ein Hacker, Spion und Narzisst. Und die von ihm enthüllten Missstände und Kriegs­verbrechen verblassen im Dunkeln. So ist es auch mir ergangen. Trotz meiner Berufs­erfahrung, die mich zur Vorsicht mahnen sollte.

Und jetzt haltet euch fest:

Assange hat sich mehrfach bei den schwedischen Behörden gemeldet, weil er zu den [Vergewaltigungs-] Vorwürfen Stellung nehmen wollte. Die Behörden wiegelten ab.

Was heisst das: Die Behörden wiegelten ab? Darf ich von vorn beginnen? Ich spreche fliessend Schwedisch und konnte deshalb alle Original­dokumente lesen. Ich traute meinen Augen nicht: Nach Aussagen der betroffenen Frau selber hat es nie eine Vergewaltigung gegeben. Und nicht nur das: Die Aussage dieser Frau wurde im Nachhinein ohne ihre Mitwirkung von der Stockholmer Polizei umgeschrieben, um irgendwie einen Vergewaltigungs­verdacht herbeibiegen zu können.

Weiteres Detail:

S. W. hat Julian Assange gar nicht der Vergewaltigung bezichtigt. Sie weigert sich, die Einvernahme weiterzuführen, und fährt nach Hause. Trotzdem erscheint zwei Stunden später im «Expressen», einer schwedischen Boulevard­zeitung, die Titel-Schlagzeile: Julian Assange werde der doppelten Vergewaltigung verdächtigt.

(Hervorhebung von mir)

Diesen Absatz muss ich unbedingt auch zitieren:

Wir müssen aufhören zu glauben, dass es hier wirklich darum gegangen ist, eine Untersuchung wegen Sexual­delikten zu führen. Was Wikileaks getan hat, bedroht die politischen Eliten in den USA, England, Frankreich und Russland gleichermassen. Wikileaks veröffentlicht geheime staatliche Informationen – sie sind «Anti-Geheimhaltung». Und das wird in einer Welt, in der auch in sogenannt reifen Demokratien die Geheim­haltung überhand­genommen hat, als fundamentale Bedrohung wahrgenommen. Assange hat deutlich gemacht, dass es den Staaten heute nicht mehr um legitime Vertraulichkeit geht, sondern um die Unter­drückung wichtiger Informationen zu Korruption und Verbrechen.

Lest das ganze Interview. Setzt euch dabei stabil hin & nehmt euch Zeit. Es ist wichtig.

Und ich verlinke Assanges Essays über Verschwörungen, die seine Haltung skizzieren, die ihn zur Gründung von Wikileaks gebracht hat. Außerdem noch die letzte Version seiner Website im Internet Archive.

Nachtrag vom 08.02.2020: Es gibt einen Appell, Assange freizulassen, der von über 100 deutschen Prominenten unterzeichnet wurde, darunter mehrere ehemalige Bundesminister und Leute wie Jakob Augstein, Volker Pispers, Sebastian Krumbiegel oder Ranga Yogeshwar. Tilo Jung hat wie üblich die gesamte Bundespressekonferenz, auf der der Appell vorgestellt wurde.

Nachtrag vom 18.02.2020: Die Doctors for Assange warnen:

We have real concerns, on the evidence currently available, that Mr Assange could die in prison

Das haben sie nun auch im renommierten Medizin-Journal The Lancet geschrieben, und mehr:

Since doctors first began assessing Assange in the Ecuadorian Embassy in 2015, expert medical opinion and doctors’ urgent recommendations have been consistently ignored. Even as the world’s designated authorities on arbitrary detention, torture, and human rights added their calls to doctors’ warnings, governments have sidelined medical authority, medical ethics, and the human right to health. This politicisation of foundational medical principles is of grave concern to us, as it carries implications beyond the case of Assange. Abuse by politically motivated medical neglect sets a dangerous precedent, whereby the medical profession can be manipulated as a political tool, ultimately undermining our profession’s impartiality, commitment to health for all, and obligation to do no harm.

Should Assange die in a UK prison, as the UN Special Rapporteur on Torture has warned, he will have effectively been tortured to death. Much of that torture will have taken place in a prison medical ward, on doctors’ watch. The medical profession cannot afford to stand silently by, on the wrong side of torture and the wrong side of history, while such a travesty unfolds.

Nachtrag vom 20.02.2020: Die Linksfraktion im Bundestag hat Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Weiterer Nachtrag vom 20.02.2020: Die Seite Candles4Assange sammelt Mahnwachen und Petitionen für Julian.

Nachtrag vom 26.02.2020: Heute war ich nun selber das erste Mal bei der Mahnwache vor der US-Botschaft am Brandenburger Tor, nachdem ich Fefes Zusammenfassung der ersten beiden Prozesstage gelesen hatte. Die hatte ich schon kaum ausgehalten, bin immer noch völlig verstört. Was mich auch verstört hat, ist, dass sich da nur so ein kleines Häufchen Menschen versammelt hat, während in Belmarsh gerade die weltweite Pressefreiheit massakriert wird. Nun ist es auch öffentlich: Assange droht in den USA Folterhaft.

Immerhin: Nils Melzer ist endlich auch beim ZDF angekommen.

Ah, und eine gute Nachricht habe ich doch noch am Ende des Tages – mir ist nämlich tatsächlich gerade eben erst klargeworden, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Institution der EU (aus der UK ja gerade ausgetreten ist) ist, sondern zum Europarat gehört. Damit greifen Klagen vor dem EGMR auch nach dem Brexit weiterhin in UK.

Einen hab ich noch, ein Gespräch mit Wikileaks-Chefredaktor Kristinn Hrafnsson in der Schweizer Republik, die auch schon das lange Melzer-Interview veröffentlicht hatte.

«Ich erkannte schnell, dass das Ideal von Wikileaks purer journalistischer Natur war: die Pflicht, geheime Informationen zu veröffentlichen, wenn die Geheim­haltung der Vertuschung von Korruption und Verbrechen dient.»

Die Oberfläche, unter der es gebrodelt hatte: Assange sprengte sie mit dem System Wikileaks einfach weg. «Damit ist schon beantwortet, warum diese Platt­form als derart gefährlich betrachtet wird: Sie steht gegen den Zeit­geist, in dem immer mehr als geheim klassifiziert wird.»

«Für eine Demokratie wird Geheim­haltung schon ab einem sehr frühen Stadium zur Gefahr», sagt Hrafnsson. «Wir haben den kritischen Punkt längst überschritten. Das heutige Mass an Geheim­haltung bedroht die Demokratien fundamental. In den USA steigt seit dem 11. September 2001 die Zahl der als geheim eingestuften Dokumente jedes Jahr stark an. Einfach gesagt: Die Mächtigen betreiben immer mehr Geheim­haltung, während die Bürgerinnen und Bürger immer exponierter werden und es für sie keine Privat­sphäre mehr gibt. Das ist ein Ungleich­gewicht, das einhergeht mit der wachsenden ökonomischen Ungleichheit.»

Und:

«Kurz nachdem Mike Pompeo unter Donald Trump CIA-Direktor wurde, bezeichnete er Wikileaks als feindlichen, nicht staatlichen Geheimdienst. Niemand hat jemals zuvor von einer solchen Definition gehört. Damit aber will die Trump-Administration eine Linie ziehen zwischen Wikileaks und dem übrigen Journalismus, zwischen Assange und den anderen Journalisten. Man bestreitet einfach, dass es sich hier um Journalismus handelt. Es ist ein absolut irre­führender Akt, zu behaupten, Julian Assange sei kein Journalist. Er hat den höchsten Journalisten­preis erhalten, den Australien zu vergeben hat. Und zweitausend weitere Journalisten­preise. Entweder als Person oder als Repräsentant von Wikileaks. Die australische Journalisten­gewerkschaft betrachtet ihn als Journalisten, wie auch jene in der UK. Ebenso die Internationale Journalisten-Föderation. Niemand bezweifelt, dass er ein Journalist ist. Ausser CIA-Direktor Mike Pompeo.»

Und:

«Haben Sie eigentlich keine Angst, der Nächste zu sein?», frage ich.

«Der nächste was?»

«Der nächste Journalist, der im Gefängnis landet?»

«Es gibt viele Journalisten, die sich jeden Tag in viel grössere Gefahr begeben. Oder sogar getötet werden. Oder jetzt, in diesem Moment, im Gefängnis sitzen. Ihnen gilt meine Bewunderung und meine Solidarität. Aber ja, wenn ich mir vorstelle, dass in Zukunft jeder Journalist an jedem Ort der Welt für die Publikation von geheimem Material verfolgt werden kann, kriege ich es mit der Angst zu tun.»

Gerade rechtzeitig kommen auch 3 Zeugenaussagen im Prozess vor dem spanischen Gericht wegen der Überwachung der ecuadorianischen Botschaft durch das Unternehmen Undercover Global S.L. (UC Global)

Neben Craig Murray berichtet auch Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen auf Twitter von der Gerichtsverhandlung.

Ihr merkt vielleicht, dass ich mich bis hierher darum herum gemogelt habe, Craig Murrays Berichte komplett zu lesen. Da bin ich nun dabei, das Wesentliche aus seinem Bericht vom ersten Tag kannte ich schon. Ein echter Hammer vom zweiten Tag ist das hier:

Day 2 proceedings had started with a statement from Edward Fitzgerald, Assange’s QC, that shook us rudely into life. He stated that yesterday, on the first day of trial, Julian had twice been stripped naked and searched, eleven times been handcuffed, and five times been locked up in different holding cells. On top of this, all of his court documents had been taken from him by the prison authorities, including privileged communications between his lawyers and himself, and he had been left with no ability to prepare to participate in today’s proceedings.

Magistrate Baraitser looked at Fitzgerald and stated, in a voice laced with disdain, that he had raised such matters before and she had always replied that she had no jurisdiction over the prison estate. He should take it up with the prison authorities. Fitzgerald remained on his feet, which drew a very definite scowl from Baraitser, and replied that of course they would do that again, but this repeated behaviour by the prison authorities threatened the ability of the defence to prepare. He added that regardless of jurisdiction, in his experience it was common practice for magistrates and judges to pass on comments and requests to the prison service where the conduct of the trial was affected, and that jails normally listened to magistrates sympathetically.

Baraitser flat-out denied any knowledge of such a practice, and stated that Fitzgerald should present her with written arguments setting out the case law on jurisdiction over prison conditions. This was too much even for prosecution counsel James Lewis, who stood up to say the prosecution would also want Assange to have a fair hearing, and that he could confirm that what the defence were suggesting was normal practice. Even then, Baraitser still refused to intervene with the prison. She stated that if the prison conditions were so bad as to reach the very high bar of making a fair hearing impossible, the defence should bring a motion to dismiss the charges on those grounds. Otherwise they should drop it.

In Kürze auf Deutsch: Der Verteidiger Edward Fitzgerald hat erneut auf die unwürdige Behandlung von Assange im Gefängnis & im Gericht hingewiesen. Daraufhin meinte die Richterin Baraitser, dass sie da keinen Einfluss auf die Gefängnisverwaltung habe. Daraufhin entgegnet der Verteidiger, dass es aber üblich sei, dass Richter die Gefängnisverwaltung darauf hinweisen, wenn das ordentliche Verfahrung durch solche Praktiken beeinträchtigt wird. Das stritt die Richterin einfach ab, woraufhin sich nun sogar der Ankläger erhob und sagte, dass auch die Anklage Assange eine faire Anhörung ermöglichen will und das gängige Praxis sei!!

Murray weiter:

I simply do not believe that anything said or proved in the courtroom can have an impact on the final verdict of this court.

Ach, einen hab ich noch – die Trotzkisten von der World Socialist Web Site haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass in den USA vor knapp 300 Jahren ein Gerichtsurteil, das den deutsch-amerikanischen Publizisten und Verleger John Peter Zenger vom Vorwurf der Verleumdung des Gouverneurs freisprach, den Grundstein für die Pressefreiheit in den USA gelegt hatte. Nun drehen sie diese Pressefreiheit spiegelbildlich in Belmarsh wieder zurück. Übrigens: Den Zenger Award for Press Freedom haben bisher weder Assange noch Manning noch Snowden verliehen bekommen. Zeit wird’s!

Nachtrag vom 28.02.2020: Reporters Without Borders UK hat die erste Prozesswoche zusammengefasst, UK: Legal arguments during the first week of Julian Assange’s extradition hearing highlight lack of US evidence. Und Craig Murray hat seine Bericht von Tag 3 wie auch gerade frisch von Tag 4 der Anhörung veröffentlicht. Und ich habe noch eine weitere Seite entdeckt, die vom Assange-Prozess berichtet, Shadowproof. Bei der ARD gibt’s inzwischen auch was zu UC Global.

Nachtrag vom 01.03.2020: Bisher völlig an mir vorübergegangen ist die ARD-Dokumentation: „Die Story im Ersten: Jagd auf Snowden“ von Januar 2015, in der beschrieben wird, wie Wikileaks Edward Snowden bei seiner Flucht aus Hongkong unterstützt hat. Das ist natürlich ein Grund mehr für die USA, an ihm ein Exempel zu statuieren.

Nachtrag vom 04.03.2020: Die Nachricht, dass die Chinesen jetzt wissen, dass die CIA seit 11 Jahren eine Cyber-Operation gegen sie fährt, kommt für das Auslieferungsverfahren auch eher ungelegen. Sie wissen das nämlich u.a. wegen Vault 7.

Nachtrag vom 04.01.2021: Erst habe ich laut gejubelt, als ich die Nachricht vom Gerichtsurteil las, dass Assange nicht ausgeliefert wird – dann habe ich die Urteilsbegründung erfahren und war nicht mehr so begeistert. Richterin Baraitser folgt darin der Darstellung der US-Seite, Julian Assange sei kein Journalist. Mal sehen wie die Sache weitergeht. Inzwischen hat jedenfalls Mexiko Assange politisches Asyl angeboten. Es bleibt spannend. Jonathan Cook schreibt bei Counterpunch: Assange Wins. The Cost: The Crushing of Press Freedom.