You'll own nothing, and you'll be happy
Der Great Reset des Weltwirtschaftsforums
Das Video mit den “8 predictions for the world in 2030” sorgt in den letzten Monaten für viel Aufruhr. Es stammt übrigens schon aus dem Jahr 2016. Der Grund, warum das seit Corona hochgekocht ist, ist natürlich der Great Reset des Weltwirtschaftsforums (WEF). Das Motto des WEF-Treffens in diesem Jahr lautet “The Great Reset”, und es greift diese “Vorhersagen” aus dem Jahr 2016 auf. Von den insgesamt 8 “Vorhersagen” konzentriere ich mich in diesem Beitrag auf die erste, die auch den Titel dieses Beitrags bildet:
You’ll own nothing.
And you’ll be happy.
Zu deutsch: Du wirst (im Jahr 2030) nichts mehr besitzen, und du wirst glücklich damit sein. An dieser Stelle kommt schon eine Übersetzungs-Unschärfe ins Spiel, denn “own” meint genau genommen nicht besitzen, sondern Eigentümerin sein. Besitzen werden wir natürlich auch im Jahr 2030 noch alle möglichen Dinge, aber laut dem WEF werden diese alle gemietet sein:
Whatever you want you’ll rent, and it’ll be delivered by drone.
Bei dem Teil mit der Drohne musste ich natürlich sofort an QualityLand von Marc-Uwe Kling denken, aber das ist eine andere Geschichte.
Serviceprodukte in der Kreislaufwirtschaft
Für euch ist bestimmt interessant, warum ich diese Idee, kein Eigentum an Dingen des täglichen Bedarfs zu haben, nicht pauschal verwerfe. Sie ist mir nämlich das erste Mal bei Michael Braungart in einem anderen Zusammenhang begegnet. In seinem Buch Einfach intelligent produzieren beschreibt er das Konzept einer Kreislaufwirtschaft (Cradle to cradle). Ein Ansatz, eine solche Kreislaufwirtschaft voranzutreiben, ist eben gerade das: dass Unternehmen keine Produkte mehr verkaufen, sondern diese vermieten und damit im Endeffekt eine Dienstleistung verkaufen. Braungart nennt das Serviceprodukte:
Ein Design von Erzeugnissen als Serviceprodukte beinhaltet, sie so zu konzipieren, dass sie zerlegt werden können. Es ist nicht notwendig, dass die Industrie – im Gegensatz zur Natur – ihren Produkten eine unbegrenzte Haltbarkeit verleiht. Die Langlebigkeit vieler heutiger Produkte könnte man gar als Generationen übergreifende Tyrannei betrachten. (Vielleicht wünschen wir uns ja, dass unsere Gegenstände ewig halten, aber was wollen zukünftige Generationen? Wie steht es mit ihrem Recht auf Leben, Freiheit, Glück und Freude, auf den Genuss ihres eigenen Reichtums an Nährstoffen und Materialien?) Die Hersteller hätten jedoch die ständige Verantwortung für die Lagerung und die Wiederverwendung – falls diese überhaupt gefahrlos möglich ist – aller in ihren Produkten enthaltenen, potenziell gefährlichen Stoffen. Welchen größeren Anreiz könnte es geben, als ein Design zu entwickeln, das gänzlich ohne gefährliche Stoffe auskommt?
Eben diesen Anreiz, wirklich nachhaltig von der Wiege bis zur Wiege zu designen und zu produzieren, will ich nicht leichtfertig wegwerfen.
Kapitalismus: Die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln
Zugleich kann ich das Unbehagen mehr als gut nachvollziehen, wenn ausgerechnet das Weltwirtschaftsforum so eine Botschaft aussendet. Denn solange die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln so sind, wie sie sind, kann “You’ll own nothing” nur bedeuten, dass die globale Kapitalistenklasse dann endgültig die Eigentümerinnen von allem werden – eine Neuauflage des Feudalismus.
Der Knackpunkt, den auch Braungart weitestgehend ausblendet, ist also: Serviceprodukte sind nur dann sozial gerecht möglich, wenn die Unternehmen den Menschen gehören, die dann ihre Serviceprodukte mieten. Das WEF redet ja gerne von Stakeholdern; solange diese Stakeholder nicht auch alle Shareholder sind, bleiben das leere Worte. Und natürlich wird dieser Club von Milliardären und Multimillionären im Verein mit Staatschefinnen & Co. einen Teufel tun, so grundlegend an den Eigentumsverhältnissen zu rütteln. Das wäre allerdings notwendig, damit “You’ll own nothing” – mit der Einschränkung “except for the companies whose services you use” – tatsächlich zu “And you’ll be happy” führt.
Dies ist daher eine gute Stelle, um mal wieder an den interessanten Ansatz der Purpose Economy zu erinnern. Die nehmen das mit den Eigentumsverhältnissen ernst.
Und mir fällt gerade auf, dass dieser Beitrag im Grunde eine Fortsetzung des Beitrags Nur Commonismus ist echte Sharing Economy bildet.
Serviceprodukte konkret hier und jetzt
Und damit kommen wir zum praktischen Teil. Der konkrete Auslöser, diesen Beitrag zu schreiben, ist nämlich, dass mein Mobilfunkanbieter WEtell sich einer Serviceprodukt-Allianz angeschlossen hat: Fair✦TEC. FairTEC setzt genau das, was Michael Braungart beschrieben hat, um: Du kannst dort ein Fairphone, das ja genau mit dem Ziel, einfach zerlegt werden zu können, designt wurde, mieten. O-Ton FairTEC:
Ein nachhaltigeres digitales Ökosystem bedeutet für uns: […]
ein Geschäftsmodell zu wählen, das Langlebigkeit begünstigt, indem du dein Smartphone mietest und dabei unterstützt wirst, es so lange wie möglich zu behalten.
Da ich mir gerade ein Fairphone gekauft habe, als ich von dieser Initiative noch nicht wusste, kommt das für mich erst mal nicht in Frage. Aber: schon seit einer Weile trage ich mich mit dem Gedanken, mir einen hochwertigen Kopfhörer anzuschaffen. Das löse ich nun dadurch, dass ich im Crowdfunding für Commown einen Gutschein für 1 Jahr Gerrard Street-Headsetnutzung gekauft habe.
Commown ist als Genossenschaft eine ganz andere Nummer als z.B. Amazon, die wahrscheinlich im WEF-Video gemeint sind als diejenigen, die dann mit Drohnen die gemieteten Produkte ausliefern – auch wenn ich bisher nicht vorhabe, selber Commown-Mitglied zu werden. Ich probiere das erst mal aus. Vielleicht reizt dich das ja auch?!
Nachtrag vom 02.08.: Seit heute bin ich über CommOwn ein stolzer Mieter eines Kopfhörers.
Nachtrag vom 02.07.2023: Kurz und knackig marxistisch zusammengefasst:
Dass meine Gebrauchsgegenstände mir nicht gehören, macht nichts, wenn mir die Produktionsmittel gehören.
Umgekehrt: solange mir die Produktionsmittel nicht gehören, bringt es mir auch nichts, wenn mir meine Gebrauchsgegenstände gehören.