Gefährliches Halbwissen über Geld(schöpfung)
Der Kommentar von Renée Menéndez zu meinem Beitrag über Giorgio Agambens Deutung des Kapitalismus als Religion hat mich nun doch dazu angeregt, mal einen Versuch zu starten, der mich schon länger umtreibt.
Es herrscht eine große Begriffsverwirrung um Geld und Geldschöpfung, ein Thema mit dem ich mich bekanntlich schon seit vielen Jahren auseinandersetze. Dabei habe ich eine Menge gelernt und auch eine Menge gefährliches Halbwissen abgelegt. Darüber gibt es zwar schon diese dreiteilige Reihe hier im Blog:
- Vollgeld ist voll daneben
- Geldschöpfung aus dem Nichts – eine Luftnummer?
- Der Zins ist nicht das Problem, sondern seine Garantie
Allerdings fürchte ich, dass Laien danach auch nicht unbedingt schlauer als vorher sind. Deshalb kommt hier nun der Versuch, allgemeinverständlich aufzuschreiben, was es mit den Irrungen und Wirrungen der Geldschöpfung auf sich hat.
Vorneweg: Grundkenntnisse in doppelter Buchführung sind absolut hilfreich, um Geld zu verstehen. Ich finde schon länger, dass diese als Grundrechenart in unseren Schulen vermittelt werden müsste. Im Alltag der meisten Menschen ist doppelte Buchführung sogar noch wichtiger als beispielsweise Wurzelziehen.
Die (moderne) Begriffsverwirrung geht damit los, dass routinemäßig von “Buchgeld” (oder “Giralgeld”) gesprochen wird. Der Wikipedia-Artikel dazu stellt zwar schon einiges klar:
Buchgeld entsteht durch Einzahlung von Bargeld auf ein Bankkonto, hauptsächlich jedoch durch Kreditgewährung der Kreditinstitute, die dadurch Geldschöpfung betreiben. Die Kreditgewährung erfolgt im Endeffekt regelmäßig dadurch, dass eine Bank ihrem Kreditnehmer Buchgeld durch Gutschrift auf dessen Bankkonto zur Verfügung stellt.
Und nun ein wichtiger Punkt:
Buchgeld ist kein gesetzliches Zahlungsmittel und löst daher keinen Annahmezwang beim Gläubiger aus.
Das klingt zwar nach einem technischen Detail, ist aber ganz wesentlich: Buch"geld" ist nicht das gleiche wie Bargeld, das “eigentliche”, das “richtige” Geld. Frau kann also sagen, was du auf deinem Girokonto hast, ist gar kein Geld, sondern eine Geldforderung an die Bank. Die Bank muss dir echtes Bargeld in Höhe deines Guthabens auszahlen, wenn du das von ihr verlangst. Das tun bloß die wenigsten, deshalb fällt das kaum auf.
Noch mal Wikipedia:
Da Buchgeld eine Forderung der Bankkunden an ihre Bank darstellt, unterliegen diese Forderungen der Insolvenzgefahr eines Kreditinstituts.
Im Klartext: Geht die Bank pleite, ist im Zweifelsfall auch dein Guthaben futsch, weil du als Kontoinhaberin Gläubigerin der Bank bist. Das ist in Deutschland und vielen anderen Ländern zwar durch die Einlagensicherung auf große Guthaben beschränkt, was an der grundsätzlichen Tatsache aber nichts ändert.
Warum ist dieser Unterschied so wichtig? Ich kann doch auch mit meinem Bankguthaben wunderbar einkaufen? Nun, in der Praxis gilt das was Wikipedia schreibt:
Ungeachtet dieser gesetzlichen, sich jedoch kaum auswirkenden Schranken wird der größte Teil der Zahlungsverpflichtungen in modernen Volkswirtschaften mit Buchgeld beglichen.
Damit das funktionieren kann, ist die Unterscheidung essenziell. Was geschieht, wenn eine Bank einen Kredit gewährt? Sie schreibt ihrer Schuldnerin einen Betrag von x € gut als Forderung gegen sich selbst, und auf der anderen Seite der Buchung schreibt sie eine Forderung gegen die Schuldnerin in Höhe des Kredits, also ebenfalls x €, hin. Wegen der doppelten Buchführung müssen diese Summen immer gleich sein (die Zinsen sind ein Extrathema, um das es hier nicht geht, um die Sache nicht noch zu verkomplizieren).
Das heisst also, die Bank schuldet dir die Summe x und im Gegenzug schuldest du ihr zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls die Summe x. Was die Bank dir schuldet, heisst Sichteinlage, weil sie es dir “auf Sicht” – das heisst wann immer du dich bei der Bank sehen lässt – aushändigen muss.
(Nachtrag vom 09.01.:) Frau muss es doch echt ganz genau nehmen mit den Formulierungen. Die Sichteinlage bezeichnet dein Guthaben bei der Bank. Das Guthaben wiederum beziffert, wie viel die Bank dir an Geld schuldet. Dieses Geld (welches eben nicht dein Guthaben ist, sondern worauf das Guthaben dir nur den Anspruch bescheinigt) kannst du jederzeit von der Bank fordern, wann immer du dich dort sehen lässt. Deshalb heisst es Sichteinlage.
Danke Herr Menéndez für den Hinweis. (Ende Nachtrag)
Die Bank kann dir aber nur etwas schulden, was sie eben nicht nach Belieben selber herstellen kann. Andernfalls würdest du wohl kaum auf ein solches Geschäft eingehen. Und dieses Etwas ist nun gerade das Zentralbankgeld, von dem Bargeld die Form ist, die du in die Hand nehmen kannst. Die andere Form sind Zentralbankguthaben der Banken. Die haben nämlich ihrerseits alle ein Konto bei der Zentralbank, denn nur auf diese Weise kommt das Geld zu ihnen.
Wollen wir bei der Geldschöpfung durch private Geschäftsbanken bleiben, dann könnten wir (ganz im Sinne von Renée Menéndez) von Geld 1. und 2. Ordnung sprechen. Dabei ist Zentralbankgeld das Geld 1. Ordnung und die Guthaben bei Banken sind Geld 2. Ordnung, weil sie sich (als Forderungen und Verbindlichkeiten) auf das Geld 1. Ordnung beziehen.
Wichtig ist nun, dass die privaten Geschäftsbanken eben nicht nach Belieben Geld 1. Ordnung schöpfen können, sondern nur Geld 2. Ordnung. Und auch das können sie nicht in beliebiger Höhe, sondern dabei gibt es in einem Mindestreserve-System verschiedene Beschränkungen.
Die Zentralbanken selber allerdings können heutzutage beliebige Summen Geld 1. Ordnung aus dem Nichts schöpfen. Was das angeht, war tatsächlich der 15. August 1971 ein historischer Wendepunkt, denn an diesem Tag verkündete US-Präsident Nixon, dass die amerikanische Zentralbank fortan kein Gold mehr gegen Dollar ausgeben würde. Bis zu diesem Tag war (zumindest theoretisch) die Geldschöpfung der Zentralbanken durch ihre Goldvorräte beschränkt.
Halten wir also fest:
Geschäftsbanken können nicht aus dem Nichts Geld schöpfen, sondern sich nur Geldforderungen in ihre Bücher schreiben. Zentralbankgeld können sie sich nur entweder von der Zentralbank direkt, von anderen Banken oder in Form von Bargeldeinzahlungen von ihren Kunden leihen. Wenn wir diese Geldforderungen benutzen, um damit Dinge zu kaufen, ist das unser Risiko.
Wobei ich an dieser Stelle hervorhebe, dass es eine erstaunliche kulturelle Leistung ist, Geldforderungen ihrerseits als Zahlungsmittel zu verwenden. So eine Abstraktion kriegen selbst unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen & Bonobos, nicht hin. :-)
Zentralbanken wiederum können sehr wohl Geld aus dem Nichts schöpfen, und zwar seit dem 15. August 1971 sogar prinzipiell in beliebiger Höhe.
Das Sich-von-anderen-Banken-Geld-leihen findet übrigens auf dem Interbankenmarkt statt. Der liegt seit 2007 ziemlich darnieder:
Vor der Krise liehen sich Banken untereinander täglich bis zu 450 Milliarden Euro, infolge der Finanzkrise ab 2007 ist dieser Interbankenhandel fast völlig zum Erliegen gekommen, weil das Vertrauen der Banken untereinander gestört wurde.
Im September 2019 gab es da noch mal massive Zuckungen. Und so kriege ich sogar noch das Tag “Vertrauen” in diesem Beitrag unter. ;-)
Wenn dir das jetzt zu viel Text war und die lieber ein Video schaust, bitteschön, hier ist noch mal das Video von den NachDenkSeiten, das ich schon im Beitrag über Geldschöpfung aus dem Nichts verlinkt hatte:
Nachtrag vom 09.01.: Renée Menéndez hat den Sachverhalt in seinem Beitrag Was ist Giralgeld? rechtlich korrekter als ich dargestellt, dafür ist es dort nicht ganz leicht nachvollziehbar. Ich habe eben versucht, auf Fremdwörter und rechtliche wie ökonomische Fachbegriffe möglichst zu verzichten. Beim Scrollen durch die dortigen Kommentare fand ich außerdem den 8seitigen Artikel Die Verwirrungen um die vermeintliche Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken von Erhard Glötzl.
Nachtrag vom 26.01.: Norbert Häring hat sich mit der Frage nach dem gesetzlichen Zahlungsmittel bis zum EuGH durchgeklagt – mit einem durchwachsenen Ergebnis.