Die Bürokratie wird uns noch alle umbringen – ist das dann Mord oder doch Selbstmord?
Das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung hat mir gerade nachhaltig die Laune verdorben. Für unser kleines, beschauliches Diamond Lotus Tantra Institut bedeutet das nämlich massive zusätzliche Bürokratie. Nicht dass wir davon nicht schon mehr als genug hätten, mit DSGVO usw. usf.
Es läuft doch ganz grundsätzlich etwas falsch. Rollen wir das mal an diesem aktuellen Beispiel Arbeitszeiterfassung auf:
In vielen Betrieben wird heutzutage die Arbeitszeit nicht erfasst. Es wird also nicht dokumentiert, wann die Mitarbeiter in die Firma kommen und wann sie wieder nach Hause gehen. Das führt häufig dazu, dass die maximal zulässige Arbeitszeit überschritten wird.
Der Grund für das Urteil ist also, dass Menschen (in diesem Fall Arbeitgeber) ihre Freiheit missbrauchen, um andere auszubeuten. Nun gehören auch zum Ausbeuten immer zwei dazu. Das betont auch Fefe in seinem Beitrag zu Überstunden.
Davon abgesehen ist die Standardreaktion auf Freiheitsmissbrauch immer Regulierung, d.h. Einschränkung der Freiheit kombiniert mit externen Kontrollen – Bürokratie eben. Und das Fiese dabei: Die Einschränkung trifft immer zuerst die Guten, nicht diejenigen, deretwegen die ganze Regulierung überhaupt eingeführt wurde. Denn in der Regel sind es größere Unternehmen, die über verschachtelte Konstruktionen von Sub- und Sub-Sub-Unternehmern und andere Tricks in großem Stil Leute ausbeuten. Und diese Unternehmen zahlen dann die Zusatzkosten für die Regulierung aus der Portokasse, während kleinere & korrekte Unternehmen unter der Arbeits- & Abgabenlast stöhnen.
Also noch mal: Regulierungen dieser Art kommen zustande, weil Einzelne sich nicht an zivilisatorische Standards halten – & weil viele andere sich das gefallen lassen. Und klar, irgendwer profitiert immer von einer neuen Regulierung, in diesem Fall die Anbieter von Zeiterfassungssystemen. Bei denen knallen jetzt die Sektkorken. Alle anderen haben nun aber zusätzliche Kosten zu tragen! Das Ganze ist also ein klassischer Fall von Moral Hazard:
Ein moralisches Risiko droht, wenn Individuen davon befreit werden, für potentiell kostspielige Folgen ihres Handelns selbst einzustehen, weil diese Kosten anderweitig übernommen werden. Das individuelle Risiko wird kollektiviert, also von einem Risiko für den handelnden Einzelnen zu einem Risiko für das betroffene Kollektiv.
Mein persönliches Fazit daraus:
So lange sich Ausbeutung für Ausbeuter lohnt, werden sie damit weitermachen & darüber hinaus noch die Kosten fürs Ausbeuten auf die Ausgebeuteten umlegen.
Und natürlich spielt (Geld-) Macht dabei eine entscheidende Rolle, ebenso wie die uralte Teile & Herrsche-Strategie. Allein machen sie dich ein!
Also fassen wir uns an unsere eigenen Nasen & tun uns zusammen, damit uns die Bürokratie doch nicht umbringt. Und falls sie es doch tun würde, dann wäre das tatsächlich (kollektiver) Selbstmord.
Und auch wenn ich Fefes Haltung in diesem Punkt völlig teile, halte ich seine Einschätzung der Persönlichkeit von Vorgesetzten doch für naiv, wenn er schreibt
Stellt euch doch mal vor, ihr seid der Boss. Ihr habt zwei Mitarbeiter. Einen, der freiwillig Überstunden macht, und einen, der genau seine Zeit abarbeitet. Wen befördert ihr? Doch nicht dem, dem seine Zeit nichts wert zu sein scheint und der sie euch freiwillig schenkt!? Der ist in zwei Jahren ausgebrannt und dann holt ihr halt den nächsten Jungspund ran, der es noch nicht besser weiß. In so jemanden investiert man doch nichts, wenn der eh bald ausgebrannt ist!
Nein, du investierst in den, der nachhaltig wirtschaftet mit seiner Zeit. Weil du dich bei dem darauf verlassen kannst, dass der dann nicht spontan ausfällt, weil er nicht mehr konnte. Und der ist offensichtlich langfristig interessiert.
Schön wär’s. Es gibt massig Chefs, die gezielt Speichellecker und Selbstausbeuter befördern, einfach nur um ihr Chef-Ego beweihräuchern zu lassen. Einige davon kenne ich persönlich. Führungskräfte sind viel weniger rational als du optimistischerweise annimmst, lieber Fefe! Ein besonders krasses Beispiel ist gerade Präsident der USA.
Deshalb kommen auch hier zum Schluss die Scherben zu Wort:
Nachtrag vom 15.05.: Ich formuliere es noch mal so:
Wer versucht, dir Überwachung als emanzipatorisch zu verkaufen, lügt.
Weiterer Nachtrag vom 15.05.: Na hallo, ob man das noch Zufall nennen kann – einen Tag vor der Urteilsverkündung hat Technology Review diesen Artikel veröffentlicht: Trend zum detaillierten Mitarbeitertracking.
Mehrere Start-ups arbeiten an Systemen, mit denen sich Arbeitnehmer Minute für Minute überwachen lassen.
Und aus rechtlicher Sicht stellt sich die Frage, inwieweit eine pauschal vorgeschriebene Arbeitszeiterfassung überhaupt mit dem Grundsatz der Datenvermeidung und Datensparsamkeit vereinbar ist, wie er sowohl vom Bundesdatenschutzgesetz als auch der DSGVO verlangt wird.
Nachtrag vom 20.05.: Ausführlicher Artikel bei Legal Tribune Online. Weil dazu schon Nachfragen kamen:
Der Auftrag des EuGH geht aber zunächst an den deutschen Gesetzgeber: Der ist nun in der Pflicht, entsprechende nationale Regelungen zu treffen, um die Richtlinie und den damit bezweckten Arbeitnehmerschutz umzusetzen.