Den Ruf hören
Wie wohl die meisten modernen Menschen habe ich mich in meinem Leben schwer getan, meinen Platz oder meine Berufung zu finden. Das Wort von der Multioptionsgesellschaft macht die Runde, die Frage “Was soll ich mal werden?” stellt sich nun schon mehreren Generationen hintereinander. Ich erinnere auch noch mal daran, wie Fabian Scheidler die traumatisierende Wirkung der Megamaschine beschreibt:
Ist das Leben in einer intakten (nicht traumatisierten) Gemeinschaft bestimmt von wiederkehrenden Rhythmen und dem Wechsel der Generationen, in dem sich das Leben stets erneuert, so wird dieser Kreis durch traumatische Erfahrungen zerbrochen: Die Menschen sind nicht mehr in der Lage, sich als Teil eines sinnvollen und im Prinzip gutartigen überindividuellen Zusammenhangs zu sehen, sie sind dissoziiert, herausgerissen aus den Kreisläufen der Natur, der Gemeinschaft und des Kosmos. Alles, was ihnen bleibt, um der Verwüstung der Gegenwart etwas entgegenzusetzen, ist die Vision von einer Zukunft, in der alles anders wird, in der die gegenwärtige kaputte Welt durch eine ganz neue Welt ersetzt wird. Die Fixierung der westlichen Zivilisation auf die Zukunft, sei sie im Himmel oder auf Erden, hat ihren Ursprung in einer umfassenden kollektiven Traumatisierung, in der die Menschen aus allen Sinnzusammenhängen der Gegenwart herausgerissen wurden. […]
Der moderne Fortschrittskult ist eine Variante der daraus folgenden apokalyptischen Grundverfassung. Wem ständig der Boden unter den Füßen weggezogen wird, der kann nur rennen, um neuen festen Grund zu erreichen.
Nun steckt allerdings in dem Wort Be_ruf_ung der Ruf. Dieser Ruf ist nicht auf meinem Mist gewachsen, er richtet sich von dem größeren Zusammenhang des Ganzen an mich, den Einzelnen. Um meiner Berufung zu folgen, brauche ich also “nur” den Ruf zu hören, der an mich gerichtet ist, und diesem dann folgen.
Statt dessen verstärken wir modernen Menschen nur immer weiter den Lärm in und um uns herum. Der äußere Lärm ist dabei lediglich die Resonanz des Lärms in unserem Geist.
Es könnte so einfach sein: uns daheim, zugehörig fühlen, unserer Berufung folgen. Nur unser Ego steht dem im Weg, das nicht einfach folgen will, sondern selber sagen, wo es lang geht.
Doch wir befinden uns in unfassbar großen Strömen, die sich bewegen, egal was wir davon halten. Oder in den Worten von Don Juan:
Wir sind Staub in den Händen dieser Kräfte.
Es gilt also weiterhin, “die Watte aus meinen Ohren zu nehmen und in meinen Mund zu stecken” und zu lauschen, was die Welt mir mitzuteilen hat. Oft hat der Ruf einen nicht-menschlichen Klang, manchmal kommt er von mir nahen oder ferneren Menschen.