Aufgeben ist eine wichtige Konfliktlösungsstrategie
Na, die Überschrift reizt zum Widerspruch, oder? Sie ist das Ergebnis eines längeren Prozesses, dessen einer Höhepunkt die Beschäftigung mit Martin Bubers dialogischem Prinzip beim letzten Seminar der Prozessarbeits-Ausbildung war. Der andere Höhepunkt war die gestrige systemische Aufstellung bei Katharina Burmeister. Als ich vorhin mit dem Fahrrad durch den lauen Frühlingsabend fuhr, wurden mir zwei Dinge klar:
- Ich will in meinem Leben Meisterschaft im Umgehen mit Konflikten erlangen
- Aufgeben ist eine wichtige Konfliktlösungsstrategie
Was sträubt sich gegen diese zweite Aussage? Es ist das Ego, oder das Kleine Ich. Das Ego ist gar nicht bereit, Aufgeben überhaupt als Strategie zum Lösen eines Konflikts zu betrachten. Denn jedes Aufgeben ist ein verkleinertes Sterben, ein kleiner Ego-Tod.
Manchmal ist allerdings Aufgeben die einzige Möglichkeit, einen Konflikt ohne Gewalt zu lösen. Wer diese Möglichkeit nicht sehen will, verrennt sich dann in Kämpfen verschiedenster Art.
Da ich das Ganze aus prozessorientierter Sicht betrachte, ist die Strategie so noch nicht ganz vollständig. So wird sie rund:
Aufgeben und dem Feld vertrauen.
Auch das kann und will das Ego natürlich nicht. Es betrachtet sich als getrennt vom Rest der Welt, während das Feld ja letztlich alles ist, es überschreitet alle Grenzen.
Aufzugeben ist auch die Vorstellung, dass es immer für alle einzelnen Beteiligten eine befriedigende Lösung geben kann, wie ich es noch im Beitrag über Feindschaft geschrieben hatte. Denn die Einzelnen sind eben immer auch Egos, die nicht aufgeben wollen.
Nur aus der Sicht des Ganzen, des Großen Ich, ist jede Lösung befriedigend. Und das gilt dann gleich für überhaupt alle denkbaren Lösungen. Und irgendwann gibt sogar dieses Universum seine Existenz auf & macht Platz für das nächste. Von der höchsten Warte aus gesehen ist das also alles halb so wild.
Weil’s so schön ist, lege ich euch als musikalische Untermalung noch mal Giving Up Everything von Natalie Merchant ans Herz.
Update vom 9.3.: Gerade fiel mein Blick auf diese Zeilen in Arnold Mindells Buch Der Weg durch den Sturm:
Es gibt im Zusammenhang mit Tiefer Demokratie kein Gelingen oder Scheitern. Tiefe Demokratie kennt weder Gewinnen noch Verlieren, weder innen noch außen, weder Yin noch Yang, sondern sie ist tiefer und grundlegender. Sie ist auf das Wirbeln und Kreisen der Kräfte ausgerichtet, welche das Ganze erschaffen, das wir die Welt nennen. Einige hoffen, dass diese Einstellung neue Älteste hervorbringen wird, welche in unserem globalen Stamm so gefehlt haben. Andere werden sie als ihre eigene Liebesfähigkeit erfahren, welche alle Teile des Wandels schätzen und als Facilitatorin oder Facilitator begleiten kann.