Nutzen, Be-nutzen, Verlangen und Abneigung
Während ich heute den ganzen Nachmittag im Liegestuhl auf dem Balkon gelegen habe, ist mir etwas klar geworden. Momentan hadere ich sehr mit dem Stoff der Mikroökonomik-Vorlesung, vor allem mit dem Begriff des Nutzens und dass er mittels mathematischer Nutzenfunktionen als Indifferenzkurven dargestellt wird.
Was mir jetzt klar geworden ist (natürlich auch inspiriert durch Karl-Heinz Brodbeck): in buddhistischen Begriffen ist so eine Indifferenzkurve bzw. Nutzenfunktion nichts anderes als Verlangen und Abneigung (zwei der drei Geistesgifte) in eine mathematische Form gebracht und damit massiv verfestigt. Ich zitiere mal direkt aus Wikipedia: Wird ein Zustand, beispielsweise der Besitz eines bestimmten Gutes, einem andern Zustand vorgezogen (Präferenz), so hat der erste Zustand definitionsgemäß einen höheren Nutzen. Diese Präferenz drückt das Verlangen (die Gier) aus, eine negative Präferenz entsprechend die Abneigung (den Hass).
Für die Buddhanatur ist alles gleich-gültig. Kein Zustand ist besser als ein anderer. Die von Buddhisten angestrebte Nutzenfunktion ist somit eine Konstante, deren Grenznutzen dann konstant null ist. Das unterscheidet sich übrigens noch von den Sättigungsgütern, die bis zu einer bestimmten Menge den Nutzen erhöhen, ab dieser Menge aber keinen höheren Nutzen bringen, sondern diesen konstant lassen oder sogar wieder senken (in der Praxis gilt das für die meisten Güter, 5 Porsches machen wesentlich mehr Aufwand als einer, ohne den Nutzen noch zu erhöhen). Die Buddhanatur hat dem gegenüber nichts dagegen, sich mal zu überfressen oder sonstige Exzesse zu veranstalten. Genausowenig hat sie etwas daran auszusetzen, mal zu hungern oder sich ein paar Rippen zu brechen. Das sind alles Erfahrungen, die das Eine Bewusstsein mit sich & in sich machen kann.
Die Mathematisierung des Nutzens verstärkt nun auch noch das dritte Geistesgift, die Unwissenheit – den Glauben, dass das alles hier eine feste Substanz habe. Dabei sieht es doch wohl eher so aus, wie Alan Watts es mit Hilfe des Wortes “Gott” beschreibt:
Gott spielt sehr gern Verstecken, aber da niemand da ist außer ihm, hat er niemanden zum spielen. Aber dieses Problem bewältigt er, indem er vorgibt, nicht er selbst zu sein. So kann man sich vor sich selbst verstecken. Er gibt vor, du, ich, alle Menschen auf dieser Welt, alle Tiere und Pflanzen, die Steine und die Sterne zu sein. Auf diese Weise erlebt er seltsame und wunderbare Abenteuer, von denen einige fürchterlich und erschreckend sind. Aber sie sind wie schlechte Träume, denn wenn er aufwacht, sind sie weg.
Wenn Gott nun Versteck spielt und vorgibt, du und ich zu sein, dann spielt er so gut, dass er lange Zeit braucht, bis er sich daran erinnert, wo und wie er sich versteckt hat. Aber genau das bereitet ihm Spass, ist das, was er tun wollte. Er will sich selber nicht allzu schnell wieder finden, denn damit würde er das Spiel verderben. Das ist auch der Grund dafür, weshalb es für dich und für mich so schwierig ist herauszufinden, dass wir Gott sind, der sich verkleidet hat und vorgibt, nicht er selbst zu sein. Aber wenn das Spiel lange genug dauert, wacht jeder von uns auf und erinnert sich, dass wir alle ein einziges Selbst sind - der Gott, der alles ist, was es gibt, und der immer und ewig lebt.
Du darfst natürlich nicht vergessen, dass Gott nicht wie ein Mensch aussieht. Die Menschen haben eine Haut, und es gibt immer irgendwas ausserhalb der Haut. Wenn es sie nicht gäbe, würden wir gar nicht den Unterschied kennen zwischen dem, was innerhalb unseres Körpers ist und dem was ausserhalb ist.
Aber Gott hat keine Haut und keine Gestalt, weil es nichts außerhalb von ihm gibt. Ähnlich wie bei einem Möbiusband. Innerhalb und ausserhalb von Gott sind das Selbe. Und obwohl ich von Gott als von ihm und nicht von ihr gesprochen habe, ist Gott weder männlich noch weiblich. Ich habe nicht ES gesagt, weil wir ES normalerweise für Dinge sagen, die nicht leben.
Gott ist selbst die Welt, aber du kannst Gott aus dem gleichen Grund nicht sehen, wie du deine eigenen Augen nicht ohne Spiegel sehen kannst und wie du dir auch nicht in deine eigenen Zähne beißen kannst oder in deinen Kopf hineinsehen kannst. Dein Selbst ist so geschickt versteckt, weil es Gott ist, der sich versteckt.
Du wirst vielleicht fragen, warum sich Gott manchmal in der Gestalt schrecklicher Menschen versteckt oder vorgibt, Leute zu sein, die unter einer schweren Krankheit oder unter starken Schmerzen leiden. Denke zunächst daran, dass er dies in Wirklichkeit niemand anderem antut als sich selbst. Denke auch daran, dass in beinahe allen Geschichten, die dir einfallen, gute wie schlechte Menschen vorkommen müssen, denn das Spannende an einer Geschichte liegt darin, dass man verfolgt, wie die guten Menschen über die schlechten Menschen siegen. Es ist so, wie wenn wir Karten spielen. Zu Beginn eines Spiels bringen wir die Karten in ein Durcheinander, was sich mit den schlechten Dingen der Welt vergleichen lässt, aber der Witz an dem Spiel ist der, dieses Durcheinander in eine Ordnung zu bringen und derjenige, der dies am besten tut, ist der Gewinner. Dann mischen wir die Karten wieder und ein neues Spiel und genauso geht es mit der Welt.
Oder in den Worten von Käptn Peng: Es ist.
Also ist auch die Wirtschaft ein großes Spiel. Einerseits ergibt ein Spiel nur Sinn, wenn sich die Mitspielenden an die Regeln halten, andererseits soll das Spielen ja Freude bereiten, & wenn die bestehenden Regeln das nur für eine kleine Minderheit tun, dann sind einfach mal neue Spielregeln gefragt. Und damit aus dem Spiel kein allzu bitterer Ernst wird, hilft es, sich an die individuelle Freiheit zu erinnern, sich jederzeit so oder auch anders entscheiden zu können.
Der Wille ist die schöpferische Kraft.
Damit meine ich den wahrhaft freien Willen: dass ich etwas wollen kann ohne Vorbedingung, einfach so. Das ist gerade das Gegenteil des ökonomischen Nutzens. Dieser besagt, dass ein homo oeconomicus immer das “will”, was seinen ökonomischen Nutzen erhöht. Dieses “Wollen” ist aber durch seine Nutzenpräferenz festgelegt und damit eben keine freie Wahl. Sich Gedanken über Nutzen zu machen ist deshalb nur so lange unkritisch, wie einem dabei bewusst ist, dass das die Regeln eines Spiels mit Namen Marktwirtschaft sind. Und wenn wir auch in unserem Privatleben in Kategorien von Nutzen denken, heisst das, dass wir das Spiel Marktwirtschaft dadurch auf eben dieses Privatleben ausdehnen. Das zeigt sich z.B. in der weit verbreiteten Redeweise vom Geben und Nehmen in (Liebes-) Beziehungen. Diese werden dadurch zu Geschäftsbeziehungen, worauf schon das Wort “Partnerschaft” hindeutet. Kann man alles machen. Die Frage ist: willst du das? Falls nicht, dann ändere es.
Krishnamurti zeigt in seiner Ansprache über Beziehung, wohin diese Denkweise führt, dass wir nämlich zur Optimierung unseres Nutzens andere be-nutzen:
Wenn wir einander benutzen, haben wir nur das Bild des Ziels vor Augen, das wir erreichen wollen. Das Ziel - der Gewinn verhindert Beziehung und Verbundenheit. Bei dem Benutzen des anderen Menschen, wie befriedigend und tröstlich es auch sein mag, ist immer Angst im Spiel. Um diese Angst zu vermeiden, müssen wir besitzen, und aus dem Besitzen entstehen Neid, Verdächtigung und ständiger Konflikt. In einer solchen Beziehung kann man niemals glücklich werden.