Makellose Menschheit
Vor knapp drei Jahren habe ich mich entschieden, den Weg der Makellosigkeit zu gehen. Der zentrale Aspekt dabei ist, um die eigene Sterblichkeit zu wissen. “Lass jede deiner Handlungen deine letzte Schlacht auf Erden sein”, rät Don Juan Castaneda. Und er sagt
»Ich kenne weder Zweifel noch Reue. Alles, was ich tu, ist meine Entscheidung und meine Verantwortung. Die einfachste Sache, die ich tu, zum Beispiel dich in die Wüste mitnehmen, könnte sehr wohl meinen Tod bedeuten. Der Tod wartet auf mich. Darum habe ich keinen Platz für Zweifel oder Reue. Wenn ich als Folge dessen, daß ich dich mitnehme, sterben muß, dann muß ich eben sterben. Du hingegen glaubst, daß du unsterblich bist, und die Entscheidung eines Unsterblichen können bereut oder bezweifelt oder rückgängig gemacht werden. In einer Welt, wo der Tod der Jäger ist, mein Freund, da ist keine Zeit für Reue oder Zweifel. Da ist nur Zeit für Entscheidungen.«
Die Szene mit der chemischen Verbrennung bei Fight Club ist mir sehr eindrücklich in Erinnerung geblieben:
Am Montag wurde mir klar, dass das nicht nur für jeden einzelnen Menschen gilt, sondern auch für die Menschheit als Ganzes. Die Spezies homo sapiens ist ebenfalls sterblich, sie wird eines Tages untergehen. Zur Zeit ist sie auf dem besten Wege dort hin. Davon habe ich mich das erste Mal wirklich emotional berühren lassen. Es kann sein, dass ich zu Lebzeiten Zeuge werde, wie die Menschheit untergeht.
Wir kennen die Fakten, doch die wenigsten lassen sich in ihrem Herzen davon berühren. Täten sie es, dann könnten sie nicht so weitermachen wie bisher. Ein paar Absätze aus dem 10. Kapitel von Das Ende der Megamaschine reichen:
Die Maschinerie der endlosen Geldvermehrung braucht, um zu funktionieren, einen permanent steigenden Input an Energie und Rohstoffen, der auf der anderen Seite in einen ebenso rasant wachsenden Output von Müll und Treibhausgasen verwandelt wird. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und planetarer Zerstörung ist so offensichtlich, dass man nur seine fünf Sinne benutzen muss, um ihn zu begreifen. Wer die verwüsteten Wälder Borneos oder des Amazonas bereist, die ölverseuchten Regionen Nigerias und des Golfs von Mexiko, die verstrahlten Regionen um Fukushima und Tschernobyl, die gigantischen Müllströme im Pazifischen Ozean, die vom Fracking vergifteten Landstriche in den USA, die vom Kupfer-, Gold-, Bauxit- und Uranbergbau verheerten Landschaften in Papua-Neuguinea, Indien, Ghana oder Chile und die bereits jetzt von Jahrtausendüberschwemmungen zerstörten Bergtäler Pakistans oder Nepals – um nur eine kleine und willkürliche Auswahl der planetaren Verwüstung zu geben –, braucht eigentlich kaum noch die Bibliotheken füllenden wissenschaftlichen Studien über den Ruin der Biosphäre zu lesen, um zu erkennen, dass ein System, das seine eigenen Existenzgrundlagen in derart rapidem Tempo zerstört, keine Zukunft hat. Das Ende billigen Öls ("Peak Oil") und die absehbare Verknappung strategischer Rohstoffe wie Kupfer und Uran setzen der fortgesetzten Expansion darüber hinaus energetische und stoffliche Grenzen.
Also, ganz offensichtlich kann unsere Spezies aussterben, so wie schon unzählige andere Arten im Verlauf der Geschichte unserer Erde.
Wenn wir als Menschheit in diesem Bewusstsein handeln, können wir bewusst mit unserem kollektiven Tod ringen und uns entscheiden, aus jedem Moment unserer Existenz ein Kunstwerk zu machen. Ja, die Menschheit wird eines Tages sterben. Wollen wir ernsthaft als Krebsgeschwür der Erde sterben, dessen sie sich in einer großen Katastrophe entledigt? Wollen wir uns wirklich kollektiv selbst töten? Wir sind wie gesagt gerade mitten dabei.
Darüber habe ich am Montag besonders geweint: was könnte aus dieser Menschheit noch Schönes und Außergewöhnliches werden. Es hat etwas von einem 18jährigen, der gerade frisch seinen Führerschein hat & mit Karacho mit seinem Auto aus der Kurve fliegt & gegen einen Baum rast.
Das können wir doch besser!!! Und ich nehme mich da keineswegs aus, ich mache bisher auch noch mit in der Megamaschine. Doch es fällt mir zunehmend schwerer, die Spannungen auszuhalten, die sich daraus ergeben.
Noch mal Don Juan:
»Unser Tod wartet, und gerade die Handlung, die wir jetzt tun, mag unsere letzte Schlacht auf Erden sein«, antwortete er feierlich. »Ich nenne es eine Schlacht, weil es ein Kampf ist. Die meisten Menschen schreiten ohne inneren Kampf und ohne Nachdenken von Handlung zu Handlung. Ein Jäger dagegen beurteilt jede seiner Handlungen; und da er seinen Tod genau kennt, handelt er wohlüberlegt, als wäre jede Handlung seine letzte Schlacht. Nur ein Narr würde nicht erkennen, welchen Vorteil ein Jäger gegenüber seinen Mitmenschen hat. Ein Jäger zollt seiner letzten Schlacht die Achtung, die er ihr schuldet. Es ist nur natürlich, daß er mit seiner letzten Handlung auf Erden sein Bestes geben will. Auf diese Weise ist sie vergnüglich. Sie nimmt seiner Angst die Schärfe.«
Im Bewusstsein des sicher bevorstehenden Todes gibt es auch keine Kompromisse mehr. Und global gesehen haben wir nur noch die Wahl zwischen weitermachen wie bisher & dadurch untergehen, oder unseren Lebensstil radikal verändern & dadurch vielleicht noch mindestens einige Generationen weiterleben. Ein Kompromiss à la “hier und dort ein bisschen was verändern” läuft auf langsames Siechtum hinaus. Bezogen auf das, was ich über Patentrezepte schrieb, heisst das: Alle diese einzelnen Dinge mit voller Kraft tun und so gut wie möglich synergisch miteinander verknüpfen. Und keine Sekunde länger damit warten.
Ach ja, was zur Makellosigkeit auch gehört: die eigene Selbstwichtigkeit verlieren. Damit stehen wir uns massiv selbst im Weg.
Würden wir einsehen, dass wir nichts Besonderes sind, sondern ganz banal Lebewesen wie alle anderen Tiere und Pflanzen auch, dann wäre uns schon viel geholfen. Wir werden geboren, und irgendwann verkrümeln wir uns wieder. Buchstäblich. Das ist auch schon alles. Und in der Zwischenzeit bilden wir uns ein, wichtig zu sein. Die meisten Probleme auf diesem Planeten entstehen schlicht deshalb, weil sich die Leute überschätzen.
Angesichts dessen können wir doch nur mit jeder unserer Handlungen unser Bestes geben. Vergesst die Tausendjährigen Reiche. Akzeptiert, dass ihr wieder zu Sternenstaub zerfallt, der sich im Großen Ganzen weiterverteilt und immer wieder neue Lebensformen hervorbringt und auch diese wieder zerfallen lässt.