Das Finanzamt und ich/wir
(Leserbrief an die Oya:)
Beim Lesen der “passt nicht ins Raster”-Geschichten in der Oya 44 von Menschen, die in der Logik der Gabe handeln wollen, stellte sich mir schnell die Frage “Und was sagt das Finanzamt dazu?” Um diese Frage kommen wir nicht herum, denn wenn wir sie uns im Vorfeld nicht selber stellen, wird sich das Finanzamt mit Sicherheit irgendwann melden.
Seit nunmehr gut 1 1/2 Jahren lebe ich in der Antinous Gemeinschaft in Berlin, die dort das Diamond Lotus Tantra Institut betreibt. In dieser Zeit bin ich immer mehr vom “Fundi” zum “Realo” geworden.
Meine große Vision bleibt die eines Wirtschaftens im Geist des Schenkens, des freien Beitragens zum Ganzen. Auf dem Weg dorthin, so wird mir immer klarer, gilt es, die Menschen in den bestehenden Strukturen mitzunehmen. Und dazu gehören eben auch Finanzbeamte.
Der Anarchist in mir ist sich dessen bewusst, dass jeder Staat ein Herrschaftssystem ist und dass Steuern historisch aus Tributforderungen an unterworfene Völker entstanden sind. Kein freundlicher Ursprung, keine Frage. Doch auf der anderen Seite steht, was heutige Staaten an Infrastruktur für ihre Bürger zur Verfügung stellen. Zu dieser Infrastruktur trage ich bei, indem ich meine Steuern zahle.
Kurz gesagt, das Finanzamt ist nicht von vornherein mein Feind, auch wenn ich die Logik der Gabe leben will. Mir muss dabei nur klar sein, dass das Finanzamt (zur Zeit jedenfalls) nach einer anderen Logik funktioniert. Diese andere Logik gilt es zu berücksichtigen, denn wenn ich das nicht tue, steht vielleicht am Ende ein Gerichtsvollzieher vor meiner Tür. In dem Punkt sitzt das Finanzamt ganz einfach am längeren Hebel.
Deshalb unterstütze ich zum einen das Bündnis für geeignete Rechtsformen für das Bürgerschaftliche Engagement. Als Realo will ich innerhalb des bestehenden Rechtssystems Lösungen für andere Formen des Wirtschaftens entwickeln, statt die Verhältnisse per Revolution völlig auf den Kopf zu stellen. Und solange es keine Rechtsform gibt, die genau auf die Logik der Gabe passt, können wir nur aus den vorhandenen Formen kreative Konstruktionen basteln. Das tut z.B. die Kollektivberatung in Berlin.
Pioniere auf diesem Gebiet sind die Kommunen mit gemeinsamer Ökonomie, von denen sich im deutschsprachigen Raum viele im Kommuja-Netzwerk zusammengeschlossen haben.
Weil wir eben um das Finanzamt nicht herumkommen, schlage ich hiermit vor, in der Commons- und Gemeinschaftsszene so etwas wie eine “Arbeitsgruppe Besteuerung” zu bilden. Diese Gruppe sollte zum einen unsere konkreten Erfahrungen sammeln und außerdem ein Raum sein, in dem wir uns erst mal selber Gedanken zu machen, wie wir dem Finanzamt mit aus seiner Sicht “exotischen” Modellen begegnen. Wenn alles ganz toll läuft, unterstützen am Ende die Finanzbehörden unsere Bemühungen, in der Logik der Gabe zu handeln. In jedem Fall trägt so ein Austausch zur gegenseitigen Vertrauensbildung bei.