Wirtschaftswissenschaft als magische Herausforderung
Im Grunde schon von Beginn meines Wirtschaftswissenschafts-Studiums an, ganz besonders jetzt im dritten Semester, hadere ich mit diesem Studium und seinen Inhalten. Vor ein paar Tagen schrieb ich nun in mein rotes Buch:
Don Juan rettet mein WiWi-Studium mit dem Satz “Ein Nagual ist jemand, der so flexibel ist, dass er alles mögliche sein könnte. Ein Nagual zu sein, bedeutet unter anderem, dass man sich nicht auf einen Standpunkt festlegt.” Das WiWi-Studium ist meine selbst gewählte magische Herausforderung, ein Glaubenssystem als Werkzeug zu benutzen, das ich von einem anderen Standpunkt aus als Bullshit bezeichne, und mir einen Schein zu erarbeiten, den ich von einem anderen Standpunkt aus als ein sinnloses Stück Papier betrachte.
Die Sätze von Don Juan stammen aus Das Feuer von innen, das ich etliche Jahre nach den ersten paar Castaneda-Büchern erst entdeckt und gelesen hatte, passend zu dem Abstand, in dem er selbst es geschrieben hat. Es war ein totales Aha-Erlebnis, die Puzzleteile aus den ersten paar Büchern fielen auf einmal alle so zusammen, dass sie ein schlüssiges Bild ergaben.
Zurück zu WiWi: Zu den zitierten Sätzen kann ich noch hinzufügen, dass ich mich bis jetzt über diesen Standpunkt definiert habe, von dem aus die Mainstream-Ökonomik oder Neoklassik Bullshit ist. Die Übung in Makellosigkeit besteht nun darin, dass es mir egal wird, ob die Neoklassik als Theorie “richtig” ist, d.h. ob sie “besser” oder “schlechter” zur “Realität” passt als andere Theorien. Sondern ich benutze sie für die Dauer und den Zweck des Studiums als Werkzeug, an das ich in diesem Rahmen glaube. Denn es geht darum, zu testen, was dabei herauskommt, wenn ich mich in einem bestimmten Glaubenssystem befinde.
Dazu kann ich auch mein neues ganz großes Vorbild John C. Lilly zitieren, aus seinem Buch Programmierung und Metaprogrammierung des menschlichen Biocomputers:
Insofern dies möglich ist, werden wir nun fortfahren, Modelle des Universums zu testen (anstatt sie zu verehren).
Und weiter:
Wenn man sich diesen Tiefen öffnet, erscheint es als weise, weder privat noch öffentlich irgendeine ultimative Wahrheit zu unterstützen […] Hat man erst einmal eine solche Tiefenanalyse unternommen, findet man später heraus, dass diese Bedürfnisse die Vorstellungen erzeugt haben. Das eigene öffentliche Bedürfnis, diese Vorstellungen sich selbst und anderen zu verkünden, als seien sie die ultimative Wahrheit, ist Ausdruck des eigenen Bedürfnisses nach einem Glauben. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Begeisterung für diese Ideen auf den chemisch eingeprägten Belohnungs- und Verstärkungseffekten beruhen. Ein Forscher, der in diesen Tiefen operiert, kann sich solch kindisches Gepäck nicht erlauben.
Klare Worte. Und Don Juan haut in die gleiche Kerbe. Er sagt, dass die neuen Seher “kleine Tyrannen” als Herausforderung nehmen, um dabei ihre Makellosigkeit zu trainieren. Das bedeutet konkret:
Wir wissen, dass nichts den Geist eines Kriegers so zu stählen vermag, wie die Herausforderung, sich mit unmöglichen Leuten in Machtpositionen herumzuschlagen. Nur in solchen Situationen findet der Krieger die Nüchternheit und Gelassenheit, die er braucht, um die Gegenwart des Unbekannten zu ertragen.
So gesehen ist mein persönlicher kleiner Tyrann kein einzelner Mensch, sondern eine Theorie, eben die Mainstream-Ökonomik. Für mich ist das eine größere Herausforderung als noch so unmögliche einzelne Leute in Machtpositionen. Zeitweilig hatte ich schon gedacht, es wäre wie Lügen, wenn ich in den Klausuren das hinschreibe, was der Theorie gemäß die richtige Antwort ist. Nun denn, dann lüge ich eben auch die nächsten 2 Jahre noch im Rahmen des Studiums. Immerhin habe ich eigenhändig zum Inneren Anarchismus geschrieben:
Das heißt im übrigen, dass Werte, Überzeugungen, Ideale und Moral der Freiheit entgegenstehen.
Aufmerksame LeserInnen werden das neue Tag Magick bemerkt haben. Robert Anton Wilson war ja maßgeblich beteiligt am Start meiner Bewusstseinsrakete, und er wiederum hat viel mit der Magick von Aleister Crowley experimentiert. Da lag es für mich nahe, dort auch mal einzusteigen, und auf diesem Wege habe ich vor kurzem die Chaosmagie entdeckt. Dabei ist an allererster Stelle Peter J. Carroll zu nennen, aus dessen Liber Null ich zum Abschluss zitiere:
Es ist ein Irrtum, irgendeinen Glauben für “befreiter” zu halten als andere. Was wichtig ist, das ist die Möglichkeit des Wandels. Jede neue Form der Befreiung ist dazu prädestiniert, für die Großzahl ihrer Anhänger irgendwann selbst zu einer weiteren Form der Versklavung zu werden. Man kann auf dieser Existenzebene keine Befreiung von der Dualität erlangen, aber man kann wenigstens danach streben, sich die Dualität selbst aussuchen zu können. Befreiend ist jedes Verhalten, das die eigenen Möglichkeiten zukünftigen Handelns vermehrt. Einengendes Verhalten ist jenes, das dazu führt, daß man die eigenen Wahlmöglichkeiten einschränkt. Das Geheimnis der Freiheit besteht darin, daß man sich nicht in Situationen hineinziehen läßt, in der die Alternativen immer rarer werden oder man sogar nur noch eine Möglichkeit hat. Dies ist ein abscheulich schwieriger Weg. Er verlangt, daß man sich außerhalb der eigenen Kultur, Gesellschaft, Beziehungen, Familie, Persönlichkeit, Glaubenssätze, Vorurteile, Meinungen und Ideen stellt. Gerade diese beruhigenden Ketten sind es doch, die uns scheinbare Bestimmbarkeit, Bedeutung, Charakterzüge und das Empfinden vermitteln, daß wir zur Mehrzahl der Menschen gehören. Und doch kann man beim Abwerfen dieser Ketten nicht vermeiden, sich einen neuen Satz zuzulegen, wenn man nicht gerade auf äußerst bescheidene und ärmliche Weise leben möchte - und das wäre in sich auch schon wieder eine Einengung. Die Lösung sieht so aus, daß man zum Allesvertilger wird. Jemand, der jedes oder alles aus einem halben Dutzend verschiedener Dinge denken, glauben oder tun kann, ist befreiter als jemand, der auf nur eine einzige Handlungsweise beschränkt bleibt. Aus diesem Grund mußten Sufi - Mystiker neben ihren okkulten Studien auch noch eine Handvoll weltlicher Berufe erlernen. Die hauptsächlichen Befreiungstechniken sind jene, die die Gewalt, die Gesellschaft, Konventionen und Gewohnheiten über den Eingeweihten haben, schwächen und zu einem weitgesichtigeren Horizont führen.
Im übrigen widerrufe ich meine Erklärung von Juni, in der Mikro-Klausur nicht besser als 3 abschneiden zu wollen, und strebe hiermit an, meinen Bachelor mit 1 abzuschließen. Ich stehe schließlich auf Herausforderungen. :)