Wenn die Aufmerksamkeitsökonomie heiss läuft
Über die Aufmerksamkeitsökonomie im Netz habe ich mich ja schon vor 2 Jahren und auch davor & dazwischen immer wieder ausgelassen. Mit den neuesten Skandalen läuft sie nun endgültig heiss. Über Facebook sagt Tim Wu zutreffend, dass das Problem schlicht darin liegt, dass Facebook, wie auch die anderen Medienkonzerne, profitorientierte Unternehmen sind. Sascha Lobo haut in die gleiche Kerbe:
Wenig empört die Öffentlichkeit so sehr wie das Gefühl, manipuliert worden zu sein. Genau das ist die riesige Ambivalenz des Werbemarktes, und zwar schon immer: Werbekunden wollen, dass ihre Werbung eine Wirksamkeitsgarantie hat - aber das Publikum versteht unter “Wirksamkeitsgarantie” Manipulation. Darin liegen Schwierigkeit und Gefahr für Facebook bei diesem Skandal. Das Social Network muss öffentlich behaupten, dass seine Werbung keine Manipulation ist (für das Publikum) und zugleich, dass seine Werbung als Manipulation funktioniert (für Werbetreibende).
Christian Stöcker vergleicht unseren Umgang mit den sozialen Medien mit der Ernährung:
Plattformen wie YouTube oder Facebook sind wie skrupellose Nannys, die uns ein Gummibärchen nach dem anderen reichen, ein mundgerechtes Häppchen nach dem anderen servieren. Ihr Ziel ist nicht, dass wir gesünder, fitter, kräftiger werden - sondern dass wir nicht aufhören zu essen. Und darin werden sie immer besser, denn sie lernen.
YouTube ist dabei übrigens nicht zu verachten, obwohl Facebook derzeit den ganzen Ärger abbekommt:
Menschen - und davon gibt es sehr viele - die beispielsweise YouTube als Unterhaltungskanal verwenden, hangeln sich dort gern von einem Video zum nächsten weiter, manchmal stundenlang. Dabei unterstützt sie der Empfehlungsalgorithmus der Plattform, der immer neue Videos zum Ansehen vorschlägt. Dabei hat er, wie ein ehemaliger YouTube-Entwickler vergangene Woche im “Guardian” berichtete, ein primäres Ziel: die Zeit zu maximieren, die Nutzer weiterschauen. Der Algorithmus optimiert das Angebot für maximale Sehdauer, “nicht für das, was wahr, ausgewogen oder gut für die Demokratie ist”, so der ehemalige Entwickler. […]
Dieser Mann, ein Franzose namens Guillaume Chaslot, hat ein Programm geschrieben, um zu testen, wo die Empfehlerei hinführt. Eine Art YouTube-Seh-Roboter, der sich von diversen Ausgangssuchbegriffen durch das Angebot hangelte. Dabei landete er verlässlich bei immer extremeren, immer abseitigeren Inhalten. Oft waren es Videos mit Verschwörungstheorien, und zwar besonders häufig solche, die Donald Trump gut und Hillary Clinton schlecht aussehen ließen. Das hat vermutlich nicht damit zu tun, dass man bei YouTube Trump zum Präsidenten machen wollte - sondern damit, dass besonders emotionalisierende, aufregende, krasse Inhalte eben besonders gut laufen bei YouTube. Und krass können Trump und seine Fans besser als Clinton.
Nachtrag vom 30.04.2019: Auch Thomas Metzinger setzt sich mit unserer gestörten Aufmerksamkeitskultur auseinander.