Verbotene Unicode-Symbole
Mache ich mich eigentlich schon strafbar, wenn ich in meinem Blog U+5350 oder U+0FD5 schreibe? Microsoft hatte da auch schon mal Stress mit. Wikipedia schreibt an anderer Stelle dazu:
Dies löste wiederum Proteste aus, damit würden Hindus und Buddhisten benachteiligt und freie Meinungsäußerung durch autoritäre Eingriffe eingeschränkt.
Alles gar nicht so einfach mit den Symbolen, wie das Beispiel Buddhismus zeigt:
Im Buddhismus in China symbolisiert sie das Siegel des Herzens Buddhas oder die Buddha-Natur.
Der Wikipedia-Artikel Unicodeblock Tibetisch sowie der Artikel Unicodeblock Vereinheitlichte CJK-Ideogramme/4E00 bis 5FFF darf diese Zeichen offenbar sogar ausgeschrieben abbilden. Oder hat bloss noch niemand Wikimedia Deutschland deswegen angezeigt?
Ich komme auf das ganze Thema, weil in einer Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung ein Pauschalverdacht geäußert wird, Kinder, die Runen zeichen, hätten automatisch rechtsradikale Eltern. Dazu empfehle ich allen Beteiligten den sehr lehrreichen Film Schwarze Sonne von Rüdiger Sünner, in dem deutlich wird, dass sehr wohl im Nationalsozialismus Runen benutzt wurden, allerdings völlig verquer und verkorkst (Stichwort Runenesoterik).
Man kann sich aber auch ganz ernsthaft mit Runen befassen, ohne auch nur im entferntesten politisch rechts eingestellt zu sein – ebenso wie man das Symbol der Swastika benutzen kann, ohne auch nur im entferntesten (Neo-) Nazi zu sein. Da wünsche ich mir von der Amadeu-Antonio-Stiftung mehr Differenzierung und den Rat an die angesprochenen Kita-Mitarbeiter*innen, sie mögen an dieser Stelle doch erst mal bei dem betreffenden Kind nachfragen, wie es denn dazu kommt, solche Symbole zu benutzen.
Nachtrag: Mir war nicht klar, wie absurd die Auswirkungen des § 86a StGB in Deutschland sind: Bundesgerichtshof: Isoliertes Verwenden eines stilisierten Keltenkreuzes grundsätzlich strafbar. (Nebenbei: Welchen Teil von § 86 (3) haben die beim BGH nicht verstanden?) Stellen wir uns als fiktives Beispiel vor, eine radikal-jüdische Terrororganisation, die den Davidsstern (vgl. auch Microsoft) als ihr Emblem benutzt, verübt Anschläge in Deutschland und wird daraufhin für verfassungsfeindlich erklärt. Dann würde nach geltender Rechtslage der Davidsstern in Deutschland zu einem verbotenen Symbol. Alternativ könnten wir für das Gedankenexperiment auch die Lord’s Resistance Army im Namen des Christentums Anschläge verüben lassen, wodurch dann das Kreuz zum verbotenen Symbol würde.
Gibt es eigentlich einen vergleichbaren Paragraphen im Strafrecht irgendeines anderen demokratischen Staates?
Über die Keltenkreuze hatte ich hier in einem Nachtrag zu Wenn der Islam nicht zu Europa gehört, dann auch nicht das Christentum geschrieben, und sie kommen auch prominent in Rüder Sünners Film “Magisches Irland” vor:
Nebenbei bemerkt, der Wikipedia-Artikel Rechtsextreme Symbole und Zeichen ist ja so was von verboten…
Weiterer Nachtrag: Bundesrichter Thomas Fischer schreibt in seiner Zeit-Kolumne unter der Überschrift Barbaren:
Auch mit der Legende vom magischen Buch wurde nach 1945 die Verantwortung für die Völkermorde von den neu durchstartenden Eliten auf einen kleinen Kreis von “Verführern” abgewälzt. Seither lebt auch das Strafgesetzbuch mit dem Verbot von “Symbolen” – zum Beispiel des Fotos (!) vom “Führer” oder des bescheuerten “Horst-Wessel-Liedes” (“Wildschütz-Jennerwein”-Melodie). Und auch mit dem Verbot von Gedanken – sehr zur Freude der zwangsneurotischen “Geheimzeichen”-Fetischisten aus dem rechtsradikalen Lager, die sich in unendlichen Schleifen damit aufhalten, sogenannte “Tabus” mittels “knapp-daneben”-Wortklauberei auszureizen.
Und weiter:
Dass man Gedanken durch Verbote nicht aus der Welt schafft, ist eine Freiheitsbotschaft, die auch die deutsche Gesellschaft und die deutsche Politik nicht müde werden hinauszuposaunen. Dass wöchentliche Demonstrationen von Faschisten in SA-Uniform unter Hakenkreuz-Fahnen in unseren Großstädten nicht tolerabel wären, scheint mir aber ebenfalls evident. Also muss man die Organisationsgefahr von der bloßen “Gedanken-Gefahr” trennen, damit eine freiheitliche Demokratie nicht an der Verteidigung ihrer selbst erstickt. Das wird leider gerade in Deutschland notorisch übersehen: Hier herrscht eine gelegentlich bedrückende Forderung zum “durchschnittlichen” Denken, die herrührt aus der Angst, der Borniertheit und dem Mangel an Vertrauen in die Stärke der demokratischen Grundsätze.
Dem schliesse ich mich vollumfänglich an. Leider, leider.
Und noch ein Nachtrag: Neulich habe ich ein sehr treffendes chinesisches Sprichwort gelesen:
Meinungen sind wie Nägel – je fester man darauf einschlägt, um so tiefer dringen sie ein.
Nachtrag, für den ich noch mal aus dem Bett aufgestanden bin: In diesem Paragraphen des deutschen Strafrechts steckt magisches Denken, denn er gibt einzelnen Symbolen die Macht, Menschen zu Staatsfeinden zu machen (siehe auch Fischers “Legende vom magischen Buch”).