Trauma und der Rechtsstaat
Bei meinen Recherchen zu Trauma & Dissoziation habe ich einen sehr ausführlichen & gut geschriebenen Artikel Was passiert bei einem Trauma? gefunden (mehr dazu in einem späteren Beitrag). Dort erfahre ich u.a.:
Traumatische Erfahrungen werden vor allem in den impliziten Gedächtnissen gespeichert. Das Großhirn (und damit das explizite Gedächtnis / der Verstand) wurde ja während des Traumas nicht mehr mit allen Informationen versorgt und bekam nur noch Bruchteile von dem mit, was vor sich ging; im Extremfall kaum noch etwas. Daher kann es u.U. kaum etwas davon abspeichern.
Es kommt also zu einer mehr oder weniger umfassenden Amnesie. Und das stellt in unserem Rechtssystem ein Problem dar, sofern das Trauma durch eine Straftat ausgelöst wurde.
Denn unser Rechtsstaat basiert auf dem Grundsatz Im Zweifel für den Angeklagten. Nur wenn die beanstandete Tat gegen ein geltendes Gesetz verstoßen hat & außerdem nachgewiesen werden kann, dass der Täter sie auch begangen hat, darf ein Richter überhaupt verurteilen. Ein traumatisierter Mensch, der sich an Einzelheiten nicht erinnert, sondern nur ein diffuses Gefühl hat, wird deshalb vor Gericht nichts erreichen. Aus Sicht des traumatisierten Opfers fühlt sich das natürlich beschissen an, im Hinblick auf unseren Rechtsstaat halte ich es jedoch für unbedingt notwendig. Wenn jemand vor Gericht sagt “der hat mir was ganz Schlimmes angetan, ich kann mich aber nicht erinnern, was genau eigentlich”, dann darf der Richter den Angeklagten nicht verurteilen!
Dieses Rechtsstaatsprinzip besagt, dass der Rechtsstaat lieber in Kauf nimmt, dass ein Täter mangels Beweisen weiter frei herumläuft, als dass jemand unschuldig verurteilt wird. Denn ein solcher Täter ist ein einzelner Mensch, während hinter dem Richter die geballte Staatsmacht steht. Die soll sich gefälligst zurückhalten und nur wirklich gut begründet walten. Der Rechtsstaat soll die Bürger vor der Willkür ihres Staates schützen.
Denn wenn erst mal die staatliche Willkür herrscht, dann traumatisiert das Menschen gleich massenweise.
In die gleiche Kerbe haut Bundesrichter Thomas Fischer in seiner Kolumne Sexuelle Gewalt - Es gibt keinen Skandal.