Meme Wars im Linux Kernel
Den Begrifff “Meme Wars” hatte ich schon mal hier im Titel, im Beitrag Meme Wars am Beispiel Fefe vs. Feminismus. Dort habe ich auch aus meiner eigenen Erfahrung die Spiral Dynamics-Meme Purpur bis Grün beschrieben.
Jetzt gerade tobt ein Kulturkampf um einen neuen Code of Conduct für den Linux Kernel.
In einer Mail an einen Freund schickte ich den Link zur erklärenden Mail von Linus Torvalds unter der Überschrift “Linux wird grün”. Das scheint mir inzwischen etwas verkürzt, im Kern allerdings zuzutreffen.
Ich will gar nicht viel selber dazu schreiben, sondern vor allem verlinken, wobei Fefes Blog den Ausgangspunkt bildet.
Viele EntwicklerInnen, darunter auch Fefe, fürchten, dass nun Social Justice Warriors die Linux-Kernel-Entwicklung feindlich übernehmen und mittelfristig die Codequalität senken. Fefe zur Codequalität:
Ich finde es an der Stelle übrigens brandgefährlich, Leute zur Selbstverwirklichung Code beisteuern zu lassen. Wir reden hier vom Linux-Kernel, der ist in Telefonen drin, mit denen man im Notfall zuverlässig die Feuerwehr rufen können muss. Der ist in Steuerungen für Kraftwerke drin, und in selbstfahrenden Autos. Da hängen Menschenleben von ab. Nein, da darfst du nicht an die Wand pinkeln, weil das toll in deinem Lebenslauf aussehen würde. Man hätte euch auch nicht bei der Brücke in Genua mitfrickeln lassen, weil ihr ein marginalisiertes Einhorn seid, mit dem alle Mitleid haben. Habt mal ein bisschen Respekt vor Code! Wir kriegen es schon mit ausgewiesenen und erfahrenen Experten nicht zuverlässig hin, sauberen und sicheren Code zu schreiben! Das ist kein Kunstwerk, das ist ein Stück Infrastruktur, von dem wir hier reden!
Und noch mal Fefe:
In der Geschichte von Linux ist NOCH NIE jemandes Code nicht genommen worden, weil der Einsender $IRGENDWAS war. Entscheidend ist der Code. Wenn den ein Hund einreicht, aber der Code gut ist, wird er genommen. Genaugenommen ist Code im Internet einsenden DIE EINE GELEGENHEIT im Leben, wo die Person des Einreichers keine Rolle spielt. Linus kann deine Haarfarbe gar nicht sehen, wenn du was einreichst. Ich weiß aus 1. Hand, dass im Linux-Kernel Code von blauhaarigen Schneeflocken eingeflossen ist. Warum auch nicht? Völlig absurd, da auf die Haarfarbe zu gucken.
So und wer bleibt jetzt übrig, der Code in den Kernel reinbrechstangen will, aber an Linus nicht vorbeigekommen ist? Na die, deren Code nicht gut genug war. Und DAS ist ein Grund zur Sorge.
Fefe liefert auch einen wichtigen Kontext der Debatte, warum Linus überhaupt in vielen Fällen erst so ausfällig wurde:
Linus entgleiste in der Vergangenheit nie jemandem direkt ins Gesicht, sondern er fährt eine mehr oder weniger kontrollierte Eskalationsstrategie gegen Leute, die wieder und wieder ankommen und ihm Mist einreichen. Wer das nicht gut findet, soll mir mal bitte sagen, wie Linus sonst reagieren soll. Wir reden hier auch von Leuten, die dafür bezahlt werden, Code für Linux zu schreiben. In diesem Fall von Redhat, in dem anderen bekannten Fall waren das die Security-Leute von Google, die lauter Patches eingereicht haben, die den Kernel platzen lassen, wenn sie Speicherkorruption diagnostizieren. Ich bin in der Debatte auf Seiten der Google-Leute, aber ich bin nicht der Kernel-Maintainer. Wenn Linus das nicht mag, dann ist das seine Entscheidung. Google kann ja einen Fork betreiben (tun sie ja auch). Google wollte aber die Wartung für ihren Kram dem Upstream-Kernel überhelfen. Und dann müssen sie sich halt auch an die Regeln dort halten. Ganz einfach. Aber das Problem ist halt, wenn die dafür bezahlt werden, das zu tun, dass die dann auch nicht weggehen, wenn Linus seine normale Strategie fährt und sie kritisiert. Die haben von ihrem Boss halt andere Vorgaben und tun, wofür sie bezahlt werden. Ich sehe da keinen guten Ausweg. Linus könnte öffentlich Google anpinkeln. Oder erkönnte Mails von den Leuten filtern. Oder sie ignorieren. Ist alles noch schlechter, finde ich. Als mal Butter bei die Fische. Was hätte Linus besser tun sollen?
Ich gehöre übrigens zu denen, die Fefes Erklärung, was Schneeflocken und Bronies sind, brauchten. ;-) Vgl. auch die weiterführende Erklärung zur Schneeflocke.
In integraler Terminologie stellt sich die Frage, ob die Linux-Community von Orange zu gesundem Grün evolviert, oder ob sich das Mean Green Meme breit macht. Letzteres sieht aus Fefes Sicht so aus (auch wenn er es nicht so nennen würde, da er offensichtlich mit Integraler Theorie noch nicht in Berührung gekommen ist):
Ich persönlich betrachte Kritik an meiner Arbeit nicht als negativ, im Gegenteil. Von Lob lernt man nichts. Mein Ziel ist, zu lernen. Daher ist ehrliche Kritik das viel größere Lob, besonders wenn man ihr anmerkt, dass derjenige sich mit meiner Arbeit auseinandergesetzt hat, als irgendein rituelles Hohl-Lob. Aus meiner Sicht machen sich Leute, die bei Kritik nur darüber nachdenken, wie ungerecht sie behandelt werden, ihre Wachstumsmöglichkeiten kaputt, und ich würde alleine deshalb lieber jemand kritikfähigen einstellen. Nicht nur ihre eigenen Wachstumschancen, die des ganzen Teams.
Ich habe einige so Zuckerwatte-Teams erlebt. Eine häufige Gemeinsamkeit ist, dass die aus Furcht vor Kritik auch externe Vergleiche scheuen, und dann in einer Blase vor sich hin arbeiten, sich gar nicht dessen bewusst seiend, dass sich die Welt seit ihren Berufanfangs weitergedreht hat, und es inzwischen bessere Verfahren gibt.
Insofern wäre mein auszuräumendes Problem auch nicht damit, ob es da jetzt Diversität und Inklusion gibt, sondern ob man sich radikale Kritik und Kritikfähigkeit aufrecht erhalten hat. Und das sehe ich halt bei keiner der üblichen Inklusions-Initiativen gegeben, eher im Gegenteil.
Ausgelöst hat das Ganze das Magazin New Yorker. Und It’s FOSS liefert weitere Hintergründe vor allem zu der Person, die den Code of Conduct formuliert hat: Coraline Ada Ehmke. Die hat schon mal bei einem Open Source-Projekt, an dem sie überhaupt nicht beteiligt war, versucht, einen der Hauptentwickler per Code of Conduct rauszuekeln. Generell wehrt sich die Community dagegen, politisiert zu werden.
Es lohnt sich, diesen Thread der Linux Kernel Mailing List (LKML) und vermutlich auch andere zum Thema zu lesen.
Übrigens, das deutsche Wort für Code of Conduct heisst Verhaltenskodex.
Diese Codes of Conduct sind auch bei anderen Open Source-Projekten kontrovers, so bei LLVM und bei FreeBSD. Bei Python hingegen ging die Einführung eines Verhaltenskodex offenbar ohne Streit über die Bühne.
Nachtrag vom 23.09.: Ich empfehle explizit noch mal die Mail in der LKML von Willy Tarreau, weil sie die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und den USA deutlich macht:
In some eastern Europe countries someone would naturally say “you’re completely wrong” without any mean intent. In western Europe, people would instead say “I disagree with you” and in the US they will say “let me think about it”. All of these mean the same thing when they speak to people of the same culture, but are taken as very slick or even hypocrit sayings when going from one direction, or as abusive when going the other direction. […]
I would not be surprised if most of the people having issues with the CoC were mostly european and if the people who feel protected by it are mostly US-based (please note that I’m saying “mostly”, I’m not cutting the world between two sides). It’s just that the document tries to address ones’ sensitivity at the expense of the ability to use natural ways to express oneself for other ones, and some can feel a bit censored.
Als Kontext ein Bericht aus erster Hand über das, was in den US-amerikanischen Unis so abgeht (der Autor war vor 30 Jahren und kürzlich dann noch mal in Harvard und beschreibt die gravierenden Unterschiede): Diversität zählt mehr als Wahrheit: Wie sich die Akademie ins intellektuelle Abseits manövriert.
Das Ganze fing m.E. mit dem Konzept der Politischen Korrektheit (PC) in den 80er Jahren an. Seit dieser Zeit etablierte sich vor allem in den USA und dort vor allem im akademischen Bereich eine Sprachpolizei, die offensichtlich immer weiter um sich greift. Oh, und wie ich feststelle, erwähnt der Wikipedia-Artikel zur Politischen Korrektheit auch die Generation Snowflake.
Selbst die American Civil Liberties Union (ACLU), die sich seit ihrer Gründung 1920 den Kampf für die allgemeinen Bürgerrechte in den USA und dabei ganz besonders das Recht auf freie Meinungsäußerung auf die Fahnen geschrieben hatte, scheint von dieser grundsätzlichen Haltung abzurücken (siehe dazu auch die Auseinandersetzung innerhalb der ACLU um eine Unterstützung der US-Waffenlobby NRA). Wie Fefe dazu zutreffend schreibt:
Wenn man relativiert, in welchen Fällen Grundrechte verteidigt werden, sind es halt keine Grundrechte mehr. Sondern eher so temporäre Leihgaben des Königs, der es sich jederzeit anders überlegen kann.
Das erinnert mich an dieser Stelle an meinen Beitrag Ein Herz für Nazis. Die Behauptung “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen” teile ich so pauschal nicht. Es gilt nämlich zu unterscheiden zwischen Faschismus als Meinung und tatsächlichem faschistischem Handeln. Jemanden, der eine faschistische Meinung äußert, diese Meinungsäußerung zu verbieten, ist seinerseits bereits faschistisches Handeln. Wenn hingegen jemand einen Menschen mit Kippa verprügelt oder eine Flüchtlingsunterkunft anzündet, dann ist das auch faschistisches Handeln und mit allen Mitteln eines Rechtsstaats zu stoppen.
Ich fürchte bei dieser ganzen Entwicklung ernsthaft um die Unschuldsvermutung (übrigens schon mindestens seit 2016), einem ganz wichtigen Bollwerk gegen jeglichen Faschismus.
Übrigens habe ich gerade, fast 20 Jahre nach der ersten Empfehlung durch meine Bielefelder Anarcho-Freunde, The Dispossessed von Ursula K. Le Guin gelesen und fühlte mich an manchen Stellen fatal an das Klima an den US-Universitäten erinnert. Sie beschreibt in diesem Roman, wie die anarchistische Gesellschaft auf dem Planeten Anarres durch eine mehr oder weniger subtile soziale Kontrolle die ursprüngliche Idee einer “permanenten Revolution” konterkariert.
Nachtrag vom 12.10.: Bei T-Online (!) gibt es einen sehr ausführlichen & differenzierten Artikel über die neue Konfliktlinie “Pluralitäre gegen Normalitäre”, Wieso es keinen Rechtsruck gibt, aber die extreme Rechte trotzdem wächst.
Aus der Welt, in der es normal war, unbewusst Privilegien zu genießen, weil man weiß, heterosexuell oder männlich war oder aus dem Westen kam, ist eine geworden, in der man zunehmend mit der Frage konfrontiert wird, ob das so gerecht ist. Das heißt dann: “Check your privilege!”. Mach dir mal klar, welche Privilegien du hast! Und arbeite daran, anderen nicht im Weg zu stehen.
Und hier formt sich nun eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie. Ein Bruch, der alte Identitäten nicht ablöst, der die Trennung zwischen Rechts und Links, der alte Konfliktlinien wie die zwischen Kapital und Arbeit nicht abschafft. Aber ein Bruch, der ergänzend die politischen Positionen neu ordnet.
Auf der einen Seite sammeln sich die, die finden, dass sie die Zumutungen annehmen sollten: Viele Linke, noch mehr Grüne und auch erstaunlich viele Kirchenleute, die in ihrer Ablehnung der extremen Rechten zuletzt bemerkenswert offen waren. Sie schockt der Gedanke nicht, unverdiente Privilegien zu genießen, zulasten anderer. Grüne sind an den ökologischen Sündenfall gewöhnt, Kirchen an die Ursünde. […]
Und auch nicht die AfD. Auf ihrer Seite sammeln sich jene, die in den Zumutungen vor allem den Angriff auf ihre Normalität sehen. Die Konsequenzen nicht auf sich persönlich zurückführen wollen: Sprache nicht zu gendern, hat Konsequenzen, weil es Frauen unsichtbar macht. Mesut Özil für die schlechte WM zu beschimpfen, Thomas Müller aber nicht, hat Konsequenzen für das Leben von Deutschtürken im Land. Fleisch zu essen hat Konsequenzen für Tiere und das Klima. Sich damit zu befassen, ist unbequem.
Durch diesen Artikel wurde mir klar, dass der Begriff Social Justice Warrior durch die Gamergate-Kontroverse zu einem abwertenden Begriff wurde. Diese Kontroverse hatte ich nur ganz aus der Ferne mitbekommen und mir nichts weiter dabei gedacht, weil es scheinbar nur um die kleine Nische der Onlinegamerszene ging. Offensichtlich hatte diese Kontroverse aber weitreichende Konsequenzen.
Und zumindest in der Wahrnehmung des Autors Jonas Schaible ist die Verwendung dieses Begriffs schon ein Zeichen dafür, dass man rechts(extrem) ist:
So verbinden sich in einer zentralen Frage Normalitäre mit der extremen Rechten.
Auch die macht ja nicht nur Flüchtlinge und den Islam verächtlich. Sie richtet sich vor allem auch gegen Menschen, die als Reaktion auf die neue Normalität für Selbstbeschränkung werben: Die extreme Rechte nennt sie “Hypermoralisten”, “Gutmenschen” oder “Social Justice Warriors”, also Krieger für soziale Gerechtigkeit.
Ich hoffe, ihr nehmt mir ab, dass ich nicht über Nacht rechtsextrem geworden bin. Dennoch mache ich mir Sorgen um diese Entwicklung. Die Alt-Right in den USA bemühen ja nicht ohne Grund das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als Argument gegen starre Sprachregelungen. Denn solche Regelungen gefährden dieses Grundrecht prinzipiell immer. Auch in totalitären Regimen darf man nicht mehr einfach alles frei heraus sagen, was einem gerade in den Sinn kommt, sondern muss genau aufpassen, dass die jeweilige Variation der Gestapo einem keinen Strick daraus drehen kann.
Also: Check your privilege – auf jeden Fall! Siehe dazu auch Facing Privilege von und mit Miki Kashtan. Sprachverbote – Nein Danke!
Ein weiteres Zitat aus dem Titel macht deutlich, dass wir in interessanten Zeiten leben:
Je schwindelerregender der Wandel und je größer der Rechtfertigungsdruck auf die alte Normalität, desto einflussreicher wird die neue Konfliktlinie. Desto eher überlagert sie andere Konfliktlinien. Desto eher formt sie Identität. Desto eher fühlen sich Menschen verbunden mit allen, die auf ihrer Seite stehen. Selbst wenn sie einst viel getrennt hat. Grüne verteidigen plötzlich Angela Merkel, demokratische Konservative die AfD. Um rechts gegen links geht es dabei nicht.
Nachtrag vom 17.10.: Noch ist das letzte Wort beim neuen Verhaltenskodex im Linux-Kernel nicht gesprochen.
Nachtrag vom 22.10.: Richard Stallman hat für das GNU-Projekt anstelle eines Verhaltenskodex die GNU Kind Communications Guidelines eingeführt – geht doch! Siehe auch die Ankündigung auf der Mailingliste:
The difference between kind communication linkelines and a code of conduct is a matter of the basic overall approach.
A code of conduct states rules, with punishments for anyone that violates them. It is the heavy-handed way of teaching people to behave differently, and since it only comes into action when people do something against the rules, it doesn’t try to teach people to do better than what the rules require. To be sure, the appointed maintainer(s) of a GNU package can, if necessary, tell a contributor to go away; but we do not want to need to have recourse to that.
The idea of the GNU Kind Communication Guidelines is to start linking people towards kinder communication at a point well before one would even think of saying, “You are breaking the rules.” The way we do this, rather than ordering people to be kind or else, is try to help people learn to make their communication more kind.
Darin schreibt er auch etwas sehr Weises über “Diversität als Ziel”:
I disagree with making “diversity” a goal. If the developers in a specific free software project do not include demographic D, I don’t think that the lack of them as a problem that requires action; there is no need to scramble desperately to recruit some Ds. Rather, the problem is that if we make demographic D feel unwelcome, we lose out on possible contributors. And very likely also others that are not in demographic D.
Nachtrag vom 14.11.: How the Penguin Became a Benedictine Monk: Open Source and Codes of Community Conduct.
Nachtrag vom 17.12.: Bert Hubert von PowerDNS schreibt On Linus Torvalds, technical & corporate communications.