Geben und Empfangen vs. Nehmen
Schon lange arbeite ich daran, das falsche Paar von “Geben und Nehmen” in unserer Sprache richtig zu stellen. Warum ist das ein falsches Paar? Nun, der Gegenpol zum Geben ist das Empfangen, nicht das Nehmen. Wenn mir jemand etwas gibt, dann kann ich das empfangen.
Zum Nehmen brauche ich niemand anderes. Ich nehme mir einfach das, was da ist.
Da liegt eben der Hase im Pfeffer: Empfangen kann ich nur in Beziehung zu jemand, die mir etwas gibt. Zum Nehmen brauche ich keine Beziehung, und beim Nehmen entsteht auch keine Beziehung. Ich bleibe egozentrisch, wenn nicht sogar egoistisch. Zugespitzt ist Nehmen die Haltung des Extraktivismus, des Imperialismus, des Kolonialismus.
Das zeigt exemplarisch in der Sprache (und das ist mindestens im Deutschen und im Englischen so, in anderen Sprachen kann ich es nicht beurteilen), wie das egozentrische Nehmen ganz selbstverständlich als falscher Gegenpol zum Geben gesetzt wird.
Diese falsche Polung ist mir zum wiederholten Male aufgefallen im Symposium Geist - Freundschaft - Leben, wo ich über Pfingsten war. Das Symposium wurde von meinem Prozessarbeits-Lehrer Sebastian Elsaesser veranstaltet.
Dort wurde u.a. von seiner Sommerschule berichtet, bei der die Teilnehmenden das Essen ausgegeben bekommen und sich eben gerade nicht einfach selber nehmen. Das kenne ich vom Vipassana, wo das auch so ist. Dieses Beispiel zeigt sehr einfach & deutlich den Unterschied: Wenn ich mit leerem Teller zur Essensausgabe komme, muss ich in Beziehung zu den Menschen gehen, die mir Essen auftun. Dabei kann ich jedes Mal bewusst empfinden, wie dankbar ich für das Essen bin, das ich bekomme. Im Prinzip geht das natürlich auch, wenn ich mir Essen nehme, das erfordert allerdings viel mehr Bewusstheit.
Deshalb lasst uns fröhlich und dankbar Geben und Empfangen!