Ein wunderbar heiter-skeptischer Blick auf die integralen Theoretiker
Sorry für den etwas sperrigen Titel, er fasst für mich zusammen, was und wie Jascha Rohr in seinem Artikel Grün ist nicht gleich Gelb! über die Selbstverortung der meisten integralen Denker schreibt. Meine Selbstverortung findet ihr übrigens im Beitrag Meme Wars am Beispiel Fefe vs. Feminismus, und darin auch die ersten sechs vMeme von Spiral Dynamics kurz beschrieben. Hilfreich finde ich auch die dort verlinkten Stufen der Selbst-Entwicklung von Susanne Cook-Greuter, weil sie beschreibt, wie mit jeder Stufe eine umfassendere Perspektive eingenommen werden kann.
Genau das ist auch der Knackpunkt, den Jascha Rohr herausarbeitet:
In diesen Diskussionen fällt mir jedoch seit langem ein interessantes Muster auf: viele Menschen, die per Definition ihr Zentrum der Gravitation beim grünen Mem haben, bezeichnen sich und ihre Methoden und Haltungen als integral: also wahlweise als gelb oder türkis – oder sogar darüber hinaus. Häufig schimpfen sie wie die Rohrspatzen auf das grüne Mem, dem sie sich lange enthoben fühlen.
Das tut übrigens auch Wilber selbst sehr vehement in seinem Buch Boomeritis.
Jascha Rohr schreibt weiter über das grüne Mem:
Als First-tier Mem geht es davon aus, dass seine Weltsicht besser ist als die der anderen Meme. Das ist per Definition bei allen First-tier Memen so. Das grüne Mem hat als letztes Mem im First-tier eine interessante Eigenart, die möglicherweise eine Mitursache für die Verwirrung ist: es möchte alles im eigenen Mem integrieren, ist aber nicht integral: es sagt z.B. Dinge wie: „Alles hat seine Berechtigung (bei uns im Kreis)“, oder: „Wir lassen jede Sicht zu (innerhalb unserer Gemeinschaft)“ oder: „Alles hat einen Wert an sich (als Teil unseres Ökosystems)“. Diese Aussagen sind nicht integral! Sie sind vielleicht integrativ. Denn während alle anderen Meme behaupten: unsere Sicht ist richtig, alle anderen sind falsch, sagt das grüne Mem als Schwellenmem schon: Alle Meme sind ok, wenn sie sich in unseren Kreis begeben und sich harmonisch verhalten. Sprich, wenn sie sich in die Logik unseres Mems integrieren. Das ist aber nicht die Haltung, die mit den integralen Memen gemeint ist!
Erst im Second-tier verstehen wir: alle Meme dürfen nach ihrer eigenen Logik bestehen! Es gibt also durchaus Bereiche, in denen Autorität (blaues Mem) Sinn macht, für sich alleine und nach einer strengen Hierarchien (nicht im Kreis (grün), das wäre lächerlich). Auch kalte Rationalität und Effizienz (orange) kann äußerst effektiv sein und wird hin und wieder gebraucht (aber bitte nicht nach einer Konsensabstimmung in der Gemeinschaft (grün)) – und so weiter.
Fakt ist, dass wir über das gelbe/integrale Mem noch kaum etwas aussagen können:
Niemand kann so recht integrale Konzepte vorweisen: sie emergieren gerade erst. Wir haben erste Anzeichen davon, aber wir müssen noch eine Menge experimentieren. Nach Aussagen integraler Theoretiker selbst ist erst ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung im integralen Mem angekommen. Mangels wirklich klar definierter integraler Konzepte verweisen wir auf die Konzepte, die den orangen Mainstream schon überwunden haben und gut entwickelt sind und landen erstmal bei den grünen Konzepten. Vielleicht geht das noch nichtmal wirklich: ein integrales Konzept. Vielmehr müsste integrales Denken und Handeln zwischen verschieden-memigen Konzepten changieren und gestaltenwandlerisch agieren!
Der letzte Satz weist für mich übrigens auf die Prozessorientierte Psychologie nach Arnold Mindell hin, wo ich das genau so erlebe, allerdings auch mit stark grünem Einschlag.
Sein dritter Punkt bestätigt meine Kritik am gängigen Gebrauch der integralen Theorie, sich selbst & alle anderen in Stufen einzusortieren:
Drittens: eine Reihe renommierter und weniger renommierter Denker sowie spiritueller Lehrer nutzen die Hierarchie der Meme, um sich an die vermeintliche Spitze der menschlichen Entwicklung zu setzen und definieren die oberen Meme nach Gutdünken, aber ohne tatsächliche Studien an entsprechenden Subjekten. Das führt dazu, dass das Weltverständnis des Gurus oder Vordenkers immer dem höchsten Mem – also einem integralen Mem – entspricht.
Dabei findet er die integrale Theorie durchaus einen sinnvollen Ansatz:
Sie ist eine Strukturierung und eingreifende Normierung bestimmter Weltverständnisse und damit sowohl ein analytisches als auch ein Bedeutung erzeugendes Werkzeug.
Am meisten gefallen mir an Spiral Dynamics die farbenfrohen Diskussionen, die immer irgendwo zwischen Stereotypen, Vorurteilen und Hierarchisierungen einerseits und sehr intelligenten, tiefgründigen Analysen andererseits changieren. Ich nehme sie daher sowohl mit Augenzwinkern und Vorsicht, als auch mit Freude und Einsicht auf.
Viel Freude beim Lesen des verlinkten Artikels!