Ein Anarchist feiert 70 Jahre Grundgesetz
Das ist das Schöne daran, dass ich auch innerer Anarchist bin: Ich bin nicht gezwungen, immer und in jeder Situation pauschal jede staatliche Struktur abzulehnen. Unter dem Strich finde ich, dass dieses Grundgesetz doch eine gute Sache ist. Die letzte deutsche Verfassung hat immerhin nur 14 Jahre gehalten. Deshalb bin ich heute für meine Verhältnisse früh aufgestanden, um bei der Geburtstagsfeier am Brandenburger Tor dabei zu sein (Kurzbericht in der Tagesschau). Übrigens fördere ich als Stifter bei der Bewegungsstiftung damit u.a. auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die diese Geburtstagsfeier ausgerichtet hat, & die dafür kämpft, dass das Grundgesetz auch lebendig bleibt.
Allerdings bin ich doch mit etwas gemischten Gefühlen zum Brandenburger Tor gefahren, denn 1990 ist mir als große verpasste Chance im Gedächtnis geblieben, wie auch dem Neuen Forum und vielen anderen in Ost und West. Die Wiedervereinigung hätte anstatt der feindlichen Übernahme der DDR durch die BRD, wie sie de facto ablief, eine demokratische Neugestaltung Deutschlands von unten ermöglichen können. Das Grundgesetz selbst sah von Anfang an vor, dass es eines Tages von einer Verfassung abgelöst wird, die sich das deutsche Volk selbst gibt. 1990 war die Gelegenheit dafür, doch diese Gelegenheit wurde nicht genutzt. In Island hatte das vor sechs Jahren allerdings auch nicht geklappt.
Trotz allem ermöglicht dieses Grundgesetz z.B., dass ein YouTuber so ein geniales Politikvideo machen kann, das echt Wellen schlägt. Rezo, du bist mein Held!
Und Bodo, du auch:
Nachtrag vom 22.07.: Auch die Anstalt vom 16. Juli hat sich des Themas auf ihre unnachahmliche Art angenommen. ;-)
Nachtrag vom 23.04.2021: Der Artikel Gewaltenteilung und Demokratie: Die Geschichte einer Problembeziehung gehört auch an diese Stelle. Carsten Forberger schreibt darin
Das Grundgesetz ist die beste Verfassung, die Deutschland je hatte. Aber sie ist nicht gut genug. Das Grundgesetz zu verteidigen heißt deshalb, sich für die Reparatur seiner demokratischen Schwachstellen einzusetzen. Und diese Schwachstellen liegen in der unzureichenden demokratischen Verfasstheit aller staatlichen Gewalten, insbesondere der dominanten Exekutive.
Mehr zum Thema in meinem Beitrag Der Haken an der Gewaltenteilung.
Nachtrag vom 07.05.2021: In einer paradoxen Intervention habe ich noch mal einen draufgesetzt und bin als Anarchist Mitglied einer Partei geworden.