Denkfehler in Sachen Reinkarnation
Letztens habe ich mich schon mal darüber ausgelassen, dass Reinkarnation eine Nachhaltigkeit fördernde Vorstellung ist. Allerdings schleichen sich dabei in meinen Augen immer wieder gerne Denkfehler ein – dann nämlich, wenn Menschen “sich an frühere Leben erinnern”. Das setzt voraus, es gebe etwas wie eine unsterbliche Seele, die sich sozusagen als roter Faden durch die (Re-) Inkarnationen zieht. Dabei nehmen die meisten Reinkarnationsgläubigen selbstverständlich an, dass diese Seele nach dem Tod eines Körpers nicht mehr an den Raum gebunden ist, sondern sich an einem beliebigen Ort in ein beliebiges Wesen reinkarnieren kann. In einer solchen Vorstellung tritt die Seele zwar aus dem Raum, aber nicht aus der Zeit aus. Es ist vermeintlich nur möglich, in der linearen Zeit nach dem Tod eines Körpers in einen anderen, später gezeugten Körper einzutreten.
Ich sage, hier begrenzt nur unsere Vorstellungskraft die Möglichkeiten der Reinkarnation. Die wenigsten können sich so etwas wie Retroinkarnation vorstellen, übrigens ein Begriff, den ich das erste Mal bei Magister Botanicus gelesen habe. Er meint nichts anderes, als dass man sich auch in einen zeitlich weit früher gelebt habenden Körper inkarnieren kann. Ja, auch ich habe dabei erst mal einen Knoten ins Hirn bekommen. ;-)
Licht ins Dunkel hat für mich dann John Lilly in seinem Buch Das Zentrum des Zyklons gebracht, wo er seine Rückkehr von einem Zustand des klassischen Satori (was er mit +3 bezeichnet) beschreibt:
Als ich von +3 zurückkam, gab es dieses Mal viele, viele Möglichkeiten der Wahl. »Ich war über alle zurückführenden Wege verteilt, über zehn Millionen Wege. Dann zehntausend, dann hundert, dann zehn, dann gab es ein Zusammenschmelzen zu einem Kanal, zu meinem früheren Körper, mit dem Empfinden, daß ich das zuvor schon viele, viele Male in anderen Körpern, in anderen Leben, an anderen Orten im Universum getan hatte.
Und noch ausführlicher:
Ich komme zurück von Ebene +3. Es gibt eine Billion Wahlmöglichkeiten, wo ich absteigen will. Ich begebe mich bewußt und gleichzeitig auf allen Möglichkeiten nach unten. Schließlich bin ich in meiner eigenen Galaxis mit weiteren Millionen Wahlmöglichkeiten, hunderttausenden in meinem eigenen Sonnensystem, zehntausend auf meinem eigenen Planeten, hundert in meinem eigenen Land, und dann bin ich plötzlich auf zwei heruntergestiegen, von denen eine mein Körper ist. In diesem Körper schaue ich hoch, sehe den Wahl-Baum über mir, an dem ich herabgestiegen bin.
Der Gag ist: Wenn unser Körper stirbt, treten wir aus der Raumzeit aus in einen anderen Zustand, vielleicht eine höherdimensionale Welt, in die die von uns wahrgenommene vierdimensionale Raumzeit eingebettet ist. Burkhard Heim, David Bohm oder auch die Stringtheorie lassen grüßen. Eine hervorragende Animation visualisiert die Übergänge von einer bis hin zu 10 Dimensionen: Imagining 10 Dimensions - the Movie (gibt’s auch im Schnellverfahren auf deutsch).
Die Vorstellung eines roten Fadens durch die lineare Zeit, an dem entlang man sich von einer Inkarnation zur nächsten hangeln kann & sich “an frühere Leben erinnern”, ist zwar eine nette Spielerei des Egos, aber mehr auch nicht. Dieses Universum ist immer noch viel abgefahrener, als du dir im Augenblick vorstellen kannst bzw. willst.
Die Buddhisten erkennen an, dass, was auch immer da überdauert, ohne Substanz ist. Falls es also einen roten Faden gibt, ist dieser ohne tiefere Bedeutung.
Und wie Seth es so vortrefflich in seinem Text Was ist Tantra? formuliert:
Das ganze Universum und alle Dinge und Wesen darin – alles was existiert und jemals exisieren wird – ist eine Manifestation unbegrenzten, reinen, göttlichen Bewusstseins, das sich selbst in Grenzen gehüllt und so die dualistische Welt der vielen Dinge und Wesen hervorgebracht hat, um sich selbst auf mannigfache Weise zu reflektieren und zu erfahren. Alles bewusste Leben ist eine Selbsterfahrung des Bewusstseins. Alle fühlenden Wesen sind letztlich unterschiedliche Ausformungen des einen göttlichen Bewusstseins, welches auf das Universum, das sein Körper ist, durch unzählige Paare Augen schaut.
Nicht mehr, nicht weniger. :)
Reinkarnation ist für mich ein bisschen so wie als Timo Ollech ins Meer springen & als jemand anderes wieder auftauchen – & das immer wieder aufs Neue & in billiardenfacher Ausfertigung.
Update vom 30.03.: In seiner gängigen Form ist der Glaube an Reinkarnation ein Mittel, um das Ego gigantisch aufzublähen. Nun kann “ich” “mich” nicht nur mit diesem einen Leben identifizieren, sondern mit Tausenden Leben (“das bin alles ich!”). Ausserdem weise ich noch mal explizit auf den Artikel Wozu ist die Zeit gut? hin, der das Thema in gewisser Weise noch weiter führt.
Update vom 04.04.: Durch den Film Zwei halbe Leben sind kein ganzes hat sich meine Sicht auf Reinkarnation wieder völlig verändert.