Das GRAUEN eines Kriegsenkels
Heute, nach der Lesung aus dem Buch Nebelkinder - Kriegsenkel treten aus dem Traumaschatten der Geschichte bei der Buchmesse, veröffentliche ich nun für alle in meinem Blog Ausschnitte aus meinem Tagebuch von 2002. Diese Zeit nenne ich heute rückblickend “meine dunkle Phase”, da habe ich viele inneren Qualen durchlitten, und ein erheblicher Teil dieser Qualen rührte auch daher, dass ich überhaupt nicht einordnen konnte, was ich da erlebte. Heute weiss ich, dass es aus dem Krieg kommt, der im Feld (nicht nur) meiner Familie immer noch wirkt.
Als “Soundtrack” zu den Tagebucheinträgen eignet sich dieses Lied von Fear Factory, von denen ich damals viel gehört habe:
Inzwischen habe ich auf YouTube eine Playliste mit den Liedern zusammengestellt, die ich damals rauf- & runtergehört habe:
Die Playliste “Dunkle Phase” habe ich am 1.9.2017 ersatzlos gelöscht. Mit diesen Liedern hatte ich mich damals gezielt (wenn auch nicht ganz bewusst) auf die Opferrolle programmiert. Das braucht nun wirklich niemand.
2.2.2002
Angst ist einfach ein Witz. Ehrlich. Angst hast du immer vor irgendwas. Da läßt sich mit umgehen, irgendwie. Im Endeffekt völlig harmlos. Doch wenn du in den Spiegel schaust & da ist nur Leere – das ist das GRAUEN. Vor dem gibt’s kein Entkommen.
Wenn W. mir “unterstellt”, daß meine Angst aus der Todesfurcht entspringt, ist das wahrlich ein Treppenwitz der Geschichte. Was gibt es denn bitte noch zu fürchten, wenn das GRAUEN gerade darin besteht, daß wir schon längst tot sind?! Ha! Haha!
Lachen kannst du dann auch nicht mehr. Wenn du bloß Angst hast, kein Thema. Meist reicht es sogar über deine Angst zu lachen & flupp zerplatzt sie wie ’ne Seifenblase. Im Angesicht der Leere fehlt dir die Kraft zu lachen. Das GRAUEN überwältigt dich ohne jegliche Gewalt; du gibst einfach auf.
Die fundamentale Getrenntheit aller Menschen, “unsere” grundsätzliche Fremdheit ergibt sich ganz zwanglos. Stört auch nicht weiter. Könnte gar nicht anders sein. Welch erbärmliches Schauspiel, mich in Gothic-Clubs rennen zu sehen, weil ich da eine Erfahrung “in echt” erleben will, die ich mir beim Lesen eines Romans vorgestellt (!) habe. Der von einer Frau geschrieben wurde, die sich Leute ausgedacht hat & sich Erlebnisse ausgedacht hat, die sie ihnen dann wie Namensschilder anheftete. Unglaubliche kläglich scheiternde Versuche, meine Erfahrungen mitzuteilen. Da erlebe ich irgendwas & rede mir den Mund fusselig, schreibe x-bändige Romane, & doch kann niemand nachvollziehen was ich da erlebt habe. Wie auch? Wir können uns nur gegenseitig Geschichten erzählen. Verstehen ist unmöglich.
& überhaupt – wie soll mich irgendjemand anderes verstehen, wenn ich mich selbst nicht verstehe?
Willkommen im Irrenhaus Deutschland.
Seit ich das erste Mal in jenen Spiegel blickte, versuche ich die Stunden zwischen den Stunden zu überbrücken. Alles was ich seither tue, geschieht, um die Leere zuzudecken. Ich lese Bücher, um sie mit dem Strom der Worte anzufüllen; unvermeidlich verdaut sie alles, sobald der Strom zeitweilig versiegt. Deshalb darf er nicht versiegen. Ohne Unterlaß muß etwas geschehen: sei es ein Film im Fernsehen, eines von unzähligen Büchern oder nur eine profane Mahlzeit. Den Schlaf zögere ich so lange heraus, bis ich mir sicher sein kann, nur kurze schwache Traumphasen zu haben. Jegliche Ablenkung verschafft mir großartiges Vergessen. Gut wenn ich nicht denken muß; besser es zu vermeiden, daß ich in der mentalen Stille des Nicht-Denkens Kontakt zu meinen Gefühlen bekäme. Wann immer ich innehalte, öffnet die Leere der Gedanken das Tor zu meiner inneren Leere, dunkel & totenstill. Es ist eine endlose, sinnlose, nicht zu gewinnende Flucht vor der Sinnlosigkeit. Inmitten des GRAUENs das Grauen, das meine Phantasie so vielen anderen Menschen antut. Sogar M. Ja ich bin imstande selbst meine Mutter zu vergewaltigen. In der Leere hab ich’s gesehen. Es wurde mir gezeigt. Es quält mich seither, wie ich die anderen quälen könnte. Ach, wie viele Schicksale hängen an diesem kleinen Wörtchen “könnte”.
Wenn ich mich in den letzten Wochen so oft fragte, “warum tue ich das überhaupt?”, jetzt kenne ich die Antwort: um Schlimmeres zu vermeiden. Das GRAUEN.
Wie besoffen muß ich seinerzeit gewesen sein, als ich von meiner Verbindung zur Quelle der Liebe halluzinierte? So ein Humbug. Lohnt sich eigentlich gar nicht zu erwähnen. Da ist nur die Leere, immer mehr davon, je weiter/tiefer ich in sie hineinsinke. Endlosigkeit ist schließlich ihr Markenzeichen. Wer behauptet, ich müsse da durch, um “geheilt” zu werden, lügt. Das Licht am Ende des Tunnels ist eine Illusion. Nur der Tunnel existiert. Er allein. Der Rest sind Wahnvorstellungen.
Pah, der blöde Sartre mit seiner Existenz. Ich existiere. Toll. Ja und? Aus solch einer Banalität ’ne ganze Philosophie zusammenzuschustern zeugt von Stumpfsinn höchsten Ausmaßes. Also lassen wir das.
9.5.
Nachmittags war ich mal wieder mit der 3 nach Stieghorst gefahren & hab mich da im Wald aufgehalten. Während der ganzen Zeit grub ich in meinen Kindheitsvisionen von ultimativer Zerstörung; Weltenbrand. Civilization hab ich bezeichnenderweise konsequent auf der einfachsten Stufe gezockt, dafür hatte ich schliesslich 1100 v.u.Z. schon Industrialisierung. Keiner der Gegner konnte mir mehr im geringsten gefährlich werden. Unangefochten war ich der Beherrscher der Welt. Comanche verkörperte meine KaputtSchiess-Phantasien, die ich heute noch habe. Zuerst geht es darum, alles was irgendwie hervorsticht & von der Norm abweicht, einzuebnen. Was die Frechheit besitzt, dreidimensional zu sein, muss unbarmherzig zweidimensional gebombt werden. Letzten Endes verglüht auch noch die leere Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckt, in einem Feuerball mit mir im Zentrum. All meine Energie, mein ganzes Wesen gebe ich in der Vernichtung der ganzen Welt hin.
29.5.
Bin ganz schön heftig auf die alten Computerzocks fixiert (Dune II & Comanche in erster Linie). Gerade die wo ich ganz viel zerstören kann. Das ist mir nämlich kürzlich klar geworden, dass meine Zerstörungsphantasien sich grundsätzlich nur auf Sachen richten, niemals auf Lebewesen; & zwar weil die Sachen im Weg sind, mich von anderen Lebewesen trennen!! Alles von Menschen gemachte stört mich. Das muss weg. Soviel zum alten Konflikt Technik-Natur…
Stärker wird das Gefängnis-Gefühl. Gefangen bin ich in meinem Körper, die Gitterstäbe sitzen direkt unter der Haut. Die Angst spüre ich besonders deutlich über dem Kieferknochen. Da staut sich unheimlich viel, Wut & Trauer, die vor lauter Angst nicht durchkommen.
Wie gesagt, was damals einen großen Teil des GRAUENs ausmachte, war, dass es so völlig un(be)greifbar war, ich keine Ahnung hatte wo das jetzt herkommt. Der Titel _Nebel_kinder trifft es wirklich sehr gut. Während meiner dunklen Phase lag diese Verbindung zu den Kriegserlebnissen meiner Eltern noch im Nebel. Heute habe ich meine Erlebnisse längst prozessiert & kann damit umgehen. Dennoch war vor allem das Lesen der Bücher von Sabine Bode (sowohl das Kriegsenkel- wie das Kriegskinder-Buch) ein heftiges Aha-Erlebnis. Jetzt ergibt das GRAUEN auf einmal Sinn, genau wie mein jahrelanges Verharren in der Opferrolle (siehe Gehorchen).
Und während der Lesung habe ich mir diesen Satz aufgeschrieben:
Wer heimatlos geboren ist, hat eine unendliche Fülle von Möglichkeiten, sich zu be- und wieder entheimaten.
Das ist Gabe und Herausforderung zugleich.