Celines Gesetze von Chaos, Zwietracht und Verwirrung

Nach seinem Text über Neuro-Ökonomie hat mir Hagbard Celine nun einen erheblich längeren Text aus dem Jahr 1980 zugespielt, um deutlich zu machen, dass das was in den letzten Jahren in der menschlichen Welt so los ist, nichts Neues ist. Es steigert sich nur ein langjähriger Trend, dessen Wurzel die Geheimdienste bilden. Die Konsensrealität ist offenbar schon seit langem ein zartes, zerbrechliches Gebilde. Wir befinden uns in der Kapelle der Gefahren

Falls du den langen Text lieber ausgedruckt lesen willst, stelle ich ihn auch als PDF zur Verfügung.

Celines Gesetze

von Hagbard Celine

Wie jeder denkende Mensch bemerkt hat, ist unser Leben auf nationaler Ebene zunehmend unheimlicher und surrealer geworden. Die Warteschlangen in den Banken und Postgebäuden werden immer länger, obwohl man uns stets erzählt, dass die Bevölkerungszahl der USA nicht mehr zunehmen würde. Die Verkehrsampeln beschwören bald mehr Chaos herauf, als dass sie für Ordnung sorgen, und am Wochenende findest du im Notfall keinen Klempner mehr. Niemand hat bis heute die Viehverstümmelungen1 erklären können. Jede kurze Bestandsaufnahme zeigt, dass der stete Anstieg der Konsumentenpreise, die erschreckende Beliebtheit der Gong Show unheilverkündend sind.

Ich glaube, die Erklärung für diesen schmerzlichen Trend gefunden zu haben. Unnötig festzustellen, dass ich in einem kurzen Artikel nicht das gesamte Beweismaterial ausbreiten kann, das ich im Verlauf von drei Jahrzehnten sorgfältiger metasoziologischer Forschung zusammengetragen habe; dazu wird man auf meine dreibändige Studie Why Everybody Is Going Bonkers warten müssen. Ich kann hier lediglich die vielen tausend tiefschürfenden Interviews, die unzähligen Datenfluss-Pläne und Helix-Matrix-Gleichungen, die I Ging-Weissagungen und die anderen, streng wissenschaftlichen Techniken erwähnen, die zur Enwicklung dessen geführt haben, was ich bescheiden als Celines Gesetze von Chaos, Zwietracht und Verwirrung bezeichne.

Nationale Sicherheit ist der Hauptgrund der nationalen Unsicherheit.

Celines erstes Gesetz lautet: Nationale Sicherheit ist der Hauptgrund der nationalen Unsicherheit. Das mag sich widersprüchlich anhören, aber ich werde es unverzüglich erklären.

Jede Geheimpolizei muss über ein Elite-Corps sekundären Grades geleitet werden. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, drei davon sind jedoch besonders beachtenswert:

  1. Das Infiltrieren der Geheimpolizei zu subversiven Zwecken wird stets eines der Hauptziele intern tätiger Revolutionäre sein. Es handelt sich dabei um einen ganz alltäglichen Teil deas Spion-Gegenspion-Spiels. Dem Untergrund wäre nichts lieber, als einige Agenten aus den eigenen Reihen beim FBI oder der CIA zu wissen – aus denselben Gründen, wie das FBI oder die CIA einige Agenten im Untergrund haben möchte.
  2. Eine solche Infiltration wird auch das Hauptziel feindlicher ausländischer Mächte sein – aus denselben Gründen.
    Man beachte bitte, dass es sich hier lediglich um einfache Fakten des Geheimpolizei-Spiels handelt, die auch dem breiten Publikum bekannt sind; Gegenstand zahlreicher, kunstvoll erdachter Anschläge in populären Spionagefilmen und somit nicht besonders alarmierend. Dessenungeachtet liegt die Saat des Chaos, der Zwietracht, der Verwirrung und der Paranoia bereit – denn wenn ein menschliches Wesen die Gewohnheit entwickelt, sich Sorgen zu machen und alles zu verdächtigen, so findet er oder sie zunehmend Rechtfertigungen für weitere Sorgen und weiteren Argwohn. Beispielsweise Richard Q. (die Initiale ist geändert worden), einer meiner Interview-Partner, begann sich nach zehnjähriger Tätigkeit für die CIA mit der Möglichkeit einer Infiltration durch außerirdische Wesen zu befassen. Als er zu behaupten begann, dass ihn Dämonen in Form von Hunden zum Mord an Laverne und Shirley aufgefordert hätten, ist er schließlich in Pension geschickt worden.
  3. Den Amtsleuten der Geheimpolizei stehen phantastische Möglichkeiten offen, andere Regierungsbeamte zu erpressen und einzuschüchtern.
    Stalin ließ auf Grund dieser Gefahr gleichzeitig drei Führungskräfte seiner Geheimpolizei hinrichten. Einer meiner Gewährsmänner behauptet, dass seit der National Security Act aus dem Jahr 1947 jeder Präsident gelernt habe, sich sexuell völlig geräuschlos zu betätigen, um allfälligen elektronischen Lauschern auszuweichen. Nixon sinniert in seinen Watergate-Papieren: “Nun, Hoover handelte. Er hätte gekämpft. Das war der springende Punkt. Er hätte einige Leute herausgefordert. Er hätte sie zu Tode erschreckt. Er besaß über jedermann einen Stoß Akten.” Folglich müssen jene, welche Geheimpolizei-Organisationen beanspruchen, letztere überwachen, um sicher zu sein, dass sie nicht zu viel Macht erlangen.

In den Vereinigten Staaten bildet die National Security Agency jene Superelite, welche wiederum die CIA überwacht.

Hier liegt der Punkt, wo ein dunkler, endloser Kreislauf mit ins Spiel kommt. Jede derartige Elite sekundärer Ordnung muss laut den oben erwähnten pragmatischen und unumgänglichen Regeln Gegenstand einer Infiltrierung durch eingeborene Subversive oder ausländische Mächte werden – oder sie erlangt nach Ansicht ihrer eigenen Herren “zu viel Macht”. (Das kann sich, falls Richard Q. mit seinen Befürchtungen recht hatte, sogar auf außerirdische “Überwacher” beziehen.) Und deshalb muss auch diese Elite überwacht werden – von einer Geheimpolizei dritter Ordnung.

Jene, welche die Dienste einer Geheimpolizei in Anspruch nehmen, müssen diese überwachen, um sicher zu sein, dass sie nicht allzuviel Macht erlangt.

Aber diese Geheimpolizei dritter Ordnung (zu der möglicherweise Nixons berüchtigte “Klempner” gehörten) ist ebenfalls Gegenstand von Infiltrierung oder allzu großer Machtentfaltung … und somit geht der unendliche Kreislauf mit unerbittlicher Logik weiter. Hat eine Regierung n Geheimpolizeistellen, die sich gegenseitig ausspionieren, so sind schließlich alle gleichermaßen suspekt; um Sicherheit zu gewährleisten, muss eine Geheimpolizei mit n + 1 Spionagestellen ins Leben gerufen werden. Und so weiter – endlos.

In der Praxis kann sich dieser Kreislauf natürlich nicht unendlich fortsetzen, sondern nur bis zu jenem Punkt, wo jeder Bürger jeden bespitzelt.

Was diesen logischen, unendlichen Kreislauf anbelangt, so kommt die National Security Agency stets zu kurz – obwohl wir gezeigt haben, dass er im Hinblick auf sein Ziel unabdingbar ist. In dieser Kluft zwischen dem Idealzustand einer Nation unter Bewachung, mit “angezapften Telefonleitungen und gezinkten Briefumschlägen für alle” und der klar begrenzten realen Situation von Bestechung werden Paranoias aller Schattierungen aufs Schönste gefördert. Kurz gesagt: in jeder Nation, die mit Geheimpolizei arbeitet, stellt sich keineswegs vermehrte Sicherheit, sondern um so mehr Unsicherheit ein, je stärker, vielseitiger und mächtiger die Geheimpolizei wird.

So hat beispielsweise eine “linke” Nation, die seit einundsechtzig Jahren eine Geheimpolizei beschäftigt, jenen Punkt erreicht, wo sich die Führerschicht vor Kunstmalern und Dichtern fürchtet. In einer anderen, “rechten”, von Geheimpolizeistellen durchsetzten Nation sind von drei Witzbolden mehrere Säuberungsaktionen ausgelöst worden. Diese Spaßvögel riefen regelmäßig Leute des mittleren Kaders in Regierungsämtern an und plauderten etwas, das sich wie ein Code anhörte. Die Geheimpolizei ist natürlich nicht dumm, und sie weiß, dass es sich bei diesen Scherzen um eine Form anarchistischen Humors handeln könnte – was es in der Tat auch ist –, aber sie ist sich ihrer Sache nicht sicher.

Was sich in solchen Fällen zumeist abspielt ist folgendes: Ein Beamter erhält einen dieser geheimnisvollen Anrufe, der vielleicht lautet: “Bauer an Königin, Turm fünf. Keine Frau, kein Pferd, kein Schnurrbart. Knabe hat weder geweint noch zerschlagen.” Er weiß, dass seine Überwachung nun verzehnfacht wird. In den nächsten Tagen, während er sich all seiner Fehler, seiner unvorsichtigen Bemerkungen und anderer kompromittierender Dinge erinnert, beobachtet er die verstärkte Überwachung, und er beginnt selbst den loyalsten seiner Untergebenen zu verdächtigen. Beobachtet ihn dieser nicht mit den Augen, denen nichts entgeht, die allem einen übelwollenden Aspekt abgewinnen? Innerhalb von zehn Tagen versucht der Beamte gewöhnlich mit einer ausländischen Regierungsstelle Kontakt aufzunehmen, damit er sie um politisches Asyl ersuchen kann: Das Netz der Geheimpolizei zieht sich über ihm zusammen.

Derselber Vorgang – sich Sorgen machen führt zu neuen Sorgen, Verdächtigungen führen zu weiteren Verdächtigungen – kann einen Mann oder eine Frau durch den bloßen Beitritt zu einer Geheimpolizeiorganisation zu einem klinischen Fall von Paranoia werden lassen. Der Agent weiß, wen er bespitzelt, aber er weiß nie, von wem er bespitzelt wird. Ist es vielleicht seine eigene Frau, seine Freundin, seine Sekretärin, der Zeitungsjunge, der freundliche Nachbar?

In Russland fürchtet die Regierung Kunstmaler und Dichter.

Aus diesem Grunde entwickeln Agenten der Geheimpolizei sorgfältig ausgearbeitete und komplizierte Theorien, um die jeweiligen Geschehnisse erklären zu können. Gemäß den von mir zusammengestellten, in Tabelle 1 ersichtlichen Daten gibt es nicht eine einzige Theorie, an die sich professionelle Verschwörergruppen halten, die nicht auch von zahlreichen Mitgliedern unserer verschiedenen Geheimpolizeistellen geglaubt würde. Wie Tabelle 1 zeigt, ist der Prozentsatz derer, die an diese ausgefallen Szenarios glauben, in eienr Gruppe von tausend CIA-Agenten gleich groß wie in einer Gruppe von tausend Lesern der Untergrundpresse.

Verschwörungstheorie CIA Untergrundpresse-Leser
Die Yankees (Millionäre aus dem östlichen Teil) bestimmen alles 252 30
Die Cowboys (Millionäre aus dem westlichen Teil) bestimmen alles 25 15
Alles beruht auf einem Bürgerkrieg zwischen Yankees und Cowboys 23 17
Es sind die Freimaurer 33. Grades 5 5
Es sind die Jesuiten 5 5
Es sind die Ältesten von Zion 2 2
Es ist die Armee-Industrie-Verflechtung 1 2
Es sind die Bilderberger 1 2
Es sind die Gnomen von Zürich 1 2
Es sind die lesbischen Vegetarier 10 28
Verschiedenes3 2 2

Tabelle 1: Prozentuale Aufteilung von je tausend CIA-Leuten und Untergrundpresse-Lesern4, die vorbehaltlos an verschiedene Verschwörungstheorien glauben.

Was als “unverdächtige” Institution gilt, könnte eine Frontstelle der CIA sein.

Nun, Tabelle 1 gibt ein klares Bild einer ziemlich schizoiden Nation. Das ist das Ergebnis des unmöglichen, unendlichen Kreislaufs und dessen Resultate, wonach Sorgen zu weiteren Sorgen führen.

Überdies, falls es in jeder Nation, die man sich vorstellt, eine Geheimpolizei gibt, so wird in den Augen vorsichtiger und intelligenter Menschen jede Regierungsstelle dieses Landes als mögliche Front oder als “Leitungsrohr” der Geheimpolizei verdächtig. (D.h. um so mehr scharfsinnige Bürger des Landes erkennen, dass gewisse “unverdächtige” Institutionen in Wirklichkeit von der CIA geführt werden.) Es ist somit unvermeidlich, dass die Regierungsstellen als Ganzes und zahlreiche regierungsunabhängige Einrichtungen bei durchaus vernünftigen Leuten Furcht und Zittern auslösen. Äußerungen wie “man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein” und “Lieber Vorsicht als Reue” werden zu einer Art unheilschwangerer Volksweisheit.

Weiter aber: Jede Regierung, die bereits über eine Geheimpolizei verfügt (und dabei eine Geheimpolizei unterhält, welche die bestehende Geheimpolizei überwacht usw.) wird bei der Erkenntnis, dass die aufgestellteren und intelligenteren Bürger die Regierungsstellen mit Widerwillen und bösen Ahnungen betrachten, in Alarmzustand geraten. Die Regierung wird daher die Größe und Macht der Geheimpolizei verstärken. Es handelt sich bei diesem Schritt um die einzige rationale Tat in Zusammenhang mit dem Geheimpolizeispiel.

Die einzige Alternative ist einst von Bert Brecht vorgeschlagen worden, der sarkastisch meinte: “Wenn die Regierung der Bevölkerung kein Vertrauen schenkt, warum löst sie diese Bevölkerung nicht auf und wählt ein neues Volk?” (Bis heute hat man keine Möglichkeit gefunden, eine neue Bevölkerung zu wählen – der Polizeistaat wird daher das vorhandene Volk um so stärker bespitzeln.)

Dieser Zustand bewirkt naturgemäß bei der Regierung und bei der Bevölkerung zusätzliche Paranoia, weil eine genügend kampflustige Geheimpolizei möglicherweise “Akten über jedermann” besitzt – die Schöpfer der Geheimpolizei nicht ausgeschlossen! Dies führt wiederum zu einem weiteren unvermeidlichen Kreislauf: Je mehr Macht die Geheimpolizei besitzt, um so mehr Leute werden einen Widerwillen gegen die Regierung entwickeln – und je mehr Widerwillen gegen die Regierung herrscht, je mehr Macht wird man der Geheimpolizei in die Hände geben.

Somit, ob es eine der oben erwähnten hypothetischen Verschwörungen in Wirklichkeit gibt oder nicht: Ein undurchsichtiges Regierungssystem bewirkt bei den Herrschenden und bei den Beherrschten eine Paranoia-Stimmung, die das Aufblühen derartiger Verschwörungstheorien fördert.

Dieses sich steigernde Gefühl der Verdächtigung wird durch die Tatsache verstärkt, dass sich die Geheimpolizei sowohl mit dem Sammeln von Information als auch mit dem Hervorbringen von Fehlinformationen beschäftigt. Man gewinnt bei diesem Geheimpolizeispiel Punkte, indem man Signale sammelt (Informationseinheiten), Tatsachen vor konkurrierenden Mitspielern verheimlicht und falsche Signale (Falschmeldungseinheiten) unter die anderen Spieler ausstreut. Auf diese Weise entsteht jene Situation, die ich als “Optimum Fuckup” bezeichne: Jeder Teilnehmer hat rationale (keine neurotischen) Gründe, anzunehmen, dass ihn alle anderen Mitspieler zu betrügen, zu verleiten, zu verarschen, hinters Licht zu führen und allgemein falsch zu informieren versuchen. Von Henry Kissinger geht das Gerücht, wonach er gesagt hat: “Jedermann, der im heutigen Washington nicht paranoid ist, muss verrückt sein.”

Man könnte diese Bemerkung verallgemeinern: “Jedermann, der in den heutigen Vereinigten Staaten nicht paranoid ist, muss verrückt sein.”

“Wenn die Regierung der Bevölkerung kein Vertrauen schenkt, warum löst sie diese Bevölkerung nicht auf und wählt eine neue?”

Das vorsätzliche Hervorbringen von Fehlinformationen (oder, wie es der Geheimdienst beschönigend nennt: Desinformationen) bewirkt beim Philosophen und beim Wissenschaftler eine gleich große Desorientierung wie beim Fußvolk, das sich nur für die Öffnungszeiten seiner Bank interessiert. Der Wunsch, zu entdecken, “was zum Teufel wirklich los ist” (eine vom Physiker Saul-Paul Sirag kreierte Definition des Begriffs Wissenschaft), lässt sich mit dem Umlauf von Fehlinformationen absolut nicht in Einklang bringen. Wir alle müssen zumindest in groben Zügen wissen, was zum Teufel wirklich los ist, falls wir nicht wie blinde Roboter herumstolpern und mit Dingen kollidieren wollen, auf die man uns nicht im voraus aufmerksam gemacht hat.

Vielleicht gibt es wirklich UFOs – möglicherweise dient das ganze UFO-Phänomen aber lediglich als Deckmantel für ein Unternehmen des Geheimdienstes. Vielleicht gibt es Schwarze Löcher, wo Zeit und Raum in sich zusammenfallen. Oder möglicherweise ist die ganze Kosmologie der Schwarzen Löcher nur erfunden worden, um russische Wissenschaftler an der Nase herumzuführen. Vielleicht gibt es Jimmy Carter wirklich – oder vielleicht ist er, wie National Lampoon behauptet, ein Schauspieler namens Sidney Goldfarb, darauf getrimmt, jene familiär-häuslichen Tugenden zu projizieren, denen das amerikanische Volk so nostalgisch anhängt. Vielleicht wissen nur drei Männer, zuoberst im Nationalen Sicherheitsdienst, wirklich eine Antwort auf diese Frage – vielleicht werden diese drei aber auch von gewissenen Untergebenen betrogen (wie Lyndon Johnson bezug auf Vietnam von der CIA betrogen worden ist) und sind so desorientiert wie wir alle. So verhält es sich mit der Logik der Fehlinformations-Matrix.

Mir persönlich fällt es leichter, an UFOs zu glauben als an Schwarze Löcher oder Jimmy Carter; aber dies mag auf einen Hirnschaden hinweisen, der mir durch das “Optimum Fuckup” der Fehlinformations-Matrix zugefügt worden ist.

Laut einer neueren Untersuchung sind neunzehn Prozent der Bevölkerung der Ansicht, dass die Mondlandungen von Stanley Kubrick und einer Bande von Spezial-Effektspezialisten inszenierte Täuschungsmanöver waren. Vielleicht sind diese Hyperskeptiker die geistig Gesündesten unter uns. Wer von den Lesern dieses Buches kann Gewähr dafür leisten, dass sich diese Ultraparanoiden mit absoluter Sicherheit irren?

Diese allgemeine Tendenz in Richtung Chaos, Zwietracht und Verwirrung, die sich einstellt, sobald eine Geheimpolizei vorhanden ist, wird durch Celines zweites Gesetz erschwert und beschleunigt. Dieses zweite Gesetz lautet: Richtige Information ist nur in einer “straffreien” Situation möglich. Wir haben hier die sehr einfache Darlegung einer offensichtlichen Tatsache; es bedeutet nichts anderes, als dass alle dazu neigen, ein wenig zu lügen, zu schmeicheln oder sich selber zu schützen, sobald sie mit jenen zu tun haben, die Macht über sie besitzen – insbesondere die Macht, zu strafen (aus diesem Grunde geht die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern notorisch verschütt).

Jede autoritäre Struktur kann in Form einer Pyramide aufgezeichnet werden; ganz wenige befinden sich an der Spitze und sehr viele auf deren Grundfläche, so wie es in jeder Vereinigung oder Bürokratie anzutreffen ist. Auf jeder Stufe tragen die Teilnehmer “eine Bürde des Nichtwissens” mit sich, die sich auf jene bezieht, die über ihnen stehen. Das heisst, sie müssen sehr, sehr vorsichtig sein, dass ihre natürlichen Sinnesaktivitäten – sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, Folgerungen aus geistigen Wahrnehmungen – in Übereinstimmung mit den Wünschen jener sind, die sich über ihnen befinden. Das ist absolut lebensnahe; die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist davon abhängig. Weniger wichtig – ein Luxus, der ohne weiteres vernachlässigt werden darf – ist die Bedingung, dass diese geistigen Wahrnehmungen in Einklang mit der Wirklichkeit stehen.

Kommunikation ist nur zwischen Gleichgestellten möglich

Im FBI unter J. Edgar Hoover musste der Agent beispielsweise die Fähigkeit entwickeln, überall gottlose Kommunisten zu sehen. Jeder Agent, dessen geistige Wahrnehmungen darauf hinwiesen, dass es in diesem Lande in der Tat nur sehr wenige gottlose Kommunisten gab, hätte das erlebt, was man als erkenntnismäßige Dissonanz bezeichnet: Seine Realitätsverknüpfungen wichen von den offiziellen Realitätszusammenhängen der pyramidenförmigen Autoritäts-Struktur ab. Über abweichende Vorstellungen solcher Art überhaupt zu sprechen, hieß sich dem Verdacht aussetzen, ein Spinner, ein Klugscheißer oder selbst ein gottloser Kommunist zu sein. Dasselbe gilt für jeden Dominikaner-Inquisitor früherer Jahrhunderte, der nicht die Fähigkeit besaß, überall Hexen zu entdecken. In solchen von der Autorität dominierten Situationen ist es wichtig, das zu sehen, was die Autorität sieht – es ist unbequem und möglicherweise gefährlich, jene Dinge zu sehen, die tatsächlich vorhanden sind.

Aber diese Situation führt zu einer gleichartigen, entgegengesetzten Bürde von Allwissenheit, die von jenen getragen wird, die bei der Autoritätspyramide zuoberst stehen. All das, was für jene auf der Grundfläche verboten ist – wird von den Herrenklassen, von Elite und Super-Elite verlangt. Sie müssen versuchen, für die gesamte Gesellschaft zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu fühlen, zu denken und Entscheidungen zu treffen.

Dem mit einem Gewehr ausgerüsteten Manne (die Macht, strafen zu können) wird die Zielscheibe aber nur das erzählen, was ihrer Meinung nach den Schuss nicht auslöst. Die Elite mit ihrer Bürde der Allwissenheit sieht sich der Unwissenheit der unteren Ränge gegenüber und nimmt nur jenes Feedback entgegen, das sich mit den eigenen vorgefassten Meinungen in Einklang bringen lässt. Die Bürde der Allwissenheit wandelt sich alsbald zu einer anderen, komplexeren Bürde der Unwissenheit. Niemand weiß wirklich noch etwas – oder falls er es tut, hält er dies sorgsam geheim.

Da sich das vom Nationalen Sicherheitsdienst gegebene Beispiel dem idealen, unendlichen Kreislauf des “Spion bespitzelt Spion usw.” nähert (oder zu nähern versucht), bewirkt das daraus resultierende allgemeine Zittern, dass alles Leute alles, was sie wissen (falls es von der offiziellen Wirklichkeit abweicht), verbergen, und zwar nicht nur vor ihren Vorgesetzten, sondern auch vor Ebenbürtigen und Untergebenen. Jedermann könnte schließlich der n-gradigen Geheimpolizei angehören. “Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein.” Die Bürde des Unwissens wird allgegenwärtig. Immer größere Teile der Realität werden unaussprechlich.

Aber wie Freud bemerkt, wird das, was man objektiv verdrängt (unaussprechlich), bald schon zur subjektiven Verdrängung (undenkbar). Niemand mag sich ununterbrochen als Feigling und Lügner empfinden. Es ist leichter, nicht mehr wahrzunehmen, wo sich das offizielle Realitäts-Spielfeld von der eigenen Sinneserfahrung unterscheidet. Auf diese Weise wandelt sich das “Optimum Fuckup” stufenweise zum “Terminal Fuckup”, und der Zustand der rigiditas bueraucratica setzt ein. Es handelt sich dabei um die letzte Stufe vor dem Erlöschen der gesamten Hirnaktivität; die Gesellschaft ist intellektuell tot.

Celines drittes Gesetz ist analog den ersten beiden und besagt, dass ein ehrlicher Politiker eine nationale Katastrophe darstelle.

Auf den ersten Blick scheint dies widersinnig. Menschen aller Meinungsrichtungen sind sich zumindest über den Grundsatz einig, dass wir mehr ehrenhafte Politiker benötigen und nicht noch weitere auf krummen Touren. Man rufe sich bitte in Erinnerung, dass einst Menschen aller Meinungsstufen einig waren, dass die Erde flach sei.

Der typische unehrenhafte Politiker (bocca grande normalis) ist nur daran interessiert, sich auf Kosten der öffentlichen Ausgaben selber zu bereichern; ein Ziel, das er mit den meisten seiner Mitbürger – insbesondere mit Ärzten und Juristen – teilt. Für unsere Primaten-Spezies ist dies ein Normalverhalten, und die Gesellschaft wusste dies stets zu ertragen und zu überleben.

Niemand weiß irgend etwas – oder falls er es tut, ist er oder sie sorgsam darum bemüht, diese Tatsache zu verbergen.

Ein ehrlicher Politiker (bocca grande giganticus) ist weit gefährlicher. Er oder sie ist aufrichtig damit beschäftigt, die Gesellschaft mit Hilfe politischer Tätigkeit zu verbessern. In der Praxis heißt das: mit Hilfe neuer Gesetzesentwürfe. Tatsächlich veröffentlichen zahlreiche idealistische Bürger alljährlich Bewertungslisten von Politikern; jene, die mehr Gesetze verabschiedet haben, werden höher eingestuft als jene, die bei derlei Geschäften durch Abwesenheit glänzen. Es herrscht die Annahme, dass das Bereichern der Statuten mit mehr Gesetzen eine positive Leistung sei, die der Verbesserung unserer Löhne oder der Erweiterung einer Kunstsammlung gleichkomme.

Ein klein wenig Überlegung zeigt jedoch, dass diese Annahme nicht haltbar ist. Jedes Gesetz schafft eine neue Klasse von Kriminellen; als beispielsweise im Jahre 1937 Marihuana illegalisiert worden war, sind durch diesen Kongressbeschluss Hunderttausende bis dahin unbescholtener Bürger werden zu Kriminellen. Je mehr Gesetze erlassen werden, um so mehr Bürger werden zu Kriminellen. Hauptgrund der steigenden Kriminalität ist die zunehmende Zahl von Gesetzeserlassen. Ein ehrlicher Politiker, der schuftet und im Verlauf seiner Karriere mehrere hundert Gesetze erlässt, schafft damit mehrere Millionen Kriminelle.

Es ist zudem mathematisch nachweisbar, dass die Restriktion der Freiheit des einzelnen Individuums um so größer ist, je mehr Gesetze vorhanden sind. Bestünden in einer gegebenen Gesellschaft nur drei Gesetze – z.B.: Du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht lügen oder betrügen –, so gäbe es in bezug auf die Freiheit nur drei Einschränkungen, die alle vernünftigen Menschen für die Einhaltung der Ordnung als offensichtlich notwendig erachten würden. Gibt es jedoch mehrere hunderttausend Gesetze, wie in den heutigen USA, so bestehen mehrere hunderttausend Freiheits-Restriktionen, die von einem großen Teil der Bevölkerung als außerordentlich lästig empfunden werden.

Jedes Gesetz schafft über Nacht eine neue Klasse von Kriminellen.

In der Tat wäre eine Brigade von Juristen nötig, die während mehrerer Wochen minuziös unsere Angelegenheiten untersuchen müssten, um bestimmen zu können, ob wir Kriminelle sind. Gewiss hat ein gewöhnlicher Bürger weder Zeit noch Gelegenheit festzustellen, ob er eines der unendlich vielen in unseren Statuten vorhandenen Gesetze verletzt. In vielen Fällen sind zwei unabhängig konsultierte Juristen entgegengesetzter Meinung, wenn es um die Frage geht, ob eine Handlung gesetzeswidrig sei.

Und stets werden neue Gesetze verordnet. Offensichtlich – es sei denn, es gäbe einen plötzlichen Papiermangel – wird die in den Büchern enthaltene Anzahl Gesetze den von T.H. White satirisch aufgezeigten Punkt erreichen, wo “alles, was nicht unter Verbot steht, obligatorisch ist”. Es würde dann sehr wahrscheinlich nur einige wenige Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis ein Kader ehrbarer Politiker noch mehr Gesetze errichtet hätte, um den ergänzenden Punkt zu erreichen, wo “alles, was nicht obligatorisch ist, unter Verbot steht”.

Auf dieser Stufe wird die Alptraumwelt von Orwells 1984 erreicht sein. Unehrliche Politiker, bloß an der üblichen menschlichen Aktivität der Selbstbereicherung und an der eigenen Bequemlichkeit interessiert, könnten diesen allerletzten Schrecken nicht heraufbeschwören; ehrbare und idealistische Politiker jedoch bringen uns mit jedem verordneten Gesetz diesem Greuel einen Schritt näher.

Diese drei Verallgemeinerungen – nationale Sicherheit schafft Unsicherheit; autoritäre Struktur ruft Fehlkommunikation und möglicherweise Idiotie hervor; ehrbare Politiker sind für die Gesellschaft eine Plage – werden vollkommen genügen, um den Zerfalls Roms, des britischen Weltreichs und jedes anderen, beliebig zu wählenden Landes zu erklären. Sie sind so allgemein wie die Newtonschen Bewegungsgesetze und lassen sich auf alles anwenden. Natürlich behauptet die amerikanische Soziologen-Vereinigung, dass ich verrückt sei. Bin ich verrückt? Man sagt, dass die Gebrüder Wright verrückt gewesen seien. Man hat Edison für verrückt erklärt, Baron Frankenstein …


  1. In den USA sind im Verlauf der letzten Jahre immer wieder seltsame, durch unbekannte Hand vorgenommene Viehverstümmelungen festgestellt worden. Man vermutet ein Ritual (Anm. d. Übers.). ↩︎

  2. Alle Zahlen sind in Prozent ausgedrückt. Die Summe der Zahlen ergibt aus verschiedenen Gründen jeweils keine hundert Prozent. Um eine Liste dieser Gründe zu erhalten, senden Sie bitte 25 US-Cents und eine Liste verdächtiger Personen in Ihrer Nachbarschaft an US Dept. of Bedding, Washington, DC 20001. ↩︎

  3. Umfasst jene, die alles den Bayrischen Illuminaten zuschreiben; jene, die sich an eine Mehrfachverschwörung halten (z.B. die lesbischen Vegetarier sind mit den Yankees und den Bilderbergern gegen die Cowboys, die TV-Stationen und die Viehverstümmler verbunden); jene, die glauben, dass alles ein Teil des UFO-Deckmantels sei; und jene, die behaupten, dass ihnen Dämonen in Form von Hunden erzählt hätten, dass das Ganze in Zusammenhang mit den Alligatoren in New Yorks Kanalisation stehe. ↩︎

  4. Quelle: Gallup, Roper und Hodtied, Who’s Watching Whom (Washington, DC: US Government Printing Office, 1979), p. 432. ↩︎