100 Jahre Sykes-Picot-Abkommen
Um zu verstehen, was im Nahen Osten los ist, kommt mensch um das Sykes-Picot-Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien nicht herum, das im Mai seinen 100. Jahrestag hatte. In diesem Abkommen haben diese beiden Staaten den Grundstein für alle heutigen Konflikte dort gelegt.
In der FAZ gab es einen Artikel zum Jahrestag mit vielen, teils ernüchternden Details:
Diese Gebiete waren unter osmanischer Herrschaft relativ friedlich gewesen. Die Osmanen hatten durch eine kleinteilige Aufteilung des Gebiets Konflikten vorgebeugt, die entstehen, wenn viele unterschiedliche Gruppen in einem Staat zusammenlebten. Zudem wurden die kleinen Einheiten effizienter verwaltet. Die Kolonialmächte hatten das nicht begriffen: Sie legten drei osmanische Provinzen zusammen und nannten das Gebilde dann Irak. Drei andere Provinzen hießen nun Syrien, ohne dass es solche Nationen gegeben hätte. Um diese künstlichen Gebilde zusammenzuhalten, bedurfte es erst der Kolonialstaaten, dann repressiver Diktaturen. Als diese wegfielen, stürzte die Region in Krieg und Chaos. Der Westen versucht zwar, die alte Ordnung in den hundert Jahre alten Grenzen zu retten. Eine neue, stabile Ordnung, die an Sykes-Picot anknüpfen könnte, zeichnet sich aber nicht ab.
Und wir erinnern uns, der IS hat das Kalifat ausgerufen, das 1924 von Mustafa Kemal Atatürk abgeschafft wurde.
Ein Artikel beim Deutschlandfunk von 2014 zitiert einen IS-Kämpfer:
“Das hier ist die sogenannte Grenze von Sykes-Picot - wir haben sie nie akzeptiert und wir werden sie nie akzeptieren. Wir werden hoffentlich auch die anderen Grenzen aufbrechen - so Gott will.”
Ein weiterer Artikel bei der NZZ relativiert den Einfluss des Abkommens im Vergleich zum restlichen Vorgehen der Kolonialmächte:
Die überlegenen Machtmittel der Europäer dienten dazu, sämtliche Lebensformen, die nicht aus der europäischen Tradition entstanden sind, einschneidend zu verändern. Dabei gingen die kulturelle Eigenständigkeit und letztlich die Identität der grossen Massen verloren. «Unsere Würde» ist die gängige Formulierung. Im Vergleich zum territorialen Prokrustesbett der Grenzziehung durch die übermächtigen Fremden wiegt die kulturelle Bevormundung schwerer. Doch die Grenzziehung ist greif- und sichtbarer. Vielleicht vermochte Sykes-Picot darum seinen Symbolgehalt zu bewahren, obwohl es bloss eine Episode war. Das Symbol steht in den Augen vieler Menschen im Orient für einen viel weiter gehenden Zwang zur Selbstaufgabe und Infragestellung der eigenen Kultur.
Um es mal wieder mit Fefe zu sagen: “Das müssen diese westlichen Werte sein, von denen man immer so viel liest!”
Der so genannte “islamistische Terror” scheint mir jedenfalls kein rein religiöses Phänomen zu sein.
Außerdem: wenn man so liest, was christliche Kreuzfahrer für Massaker im Namen der christlichen Religion angerichtet haben, nimmt sich das nichts. Und was der IS für den Islam, ist die Lord’s Resistance Army für das Christentum.