Wer nicht fragt bleibt dumm
Die ersten Tage in der anarchistischen Kommune Burg Lutter bei Goslar am Rande des Harz haben mich viel zum Nachdenken gebracht. Auf Wunsch einiger BewohnerInnen werde ich über die Gemeinschaft selber nicht so ausführlich berichten. Momentan dominieren die aufgeworfenen Fragen eh bei mir.
Skeptizismus
Ich bin hier stark mit skeptischem Hinterfragen von Glaubenssystemen aller Art konfrontiert. Seit ein paar Tagen lese ich in dem Buch “Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine” von Christoph Bördlein aus dem Alibri-Verlag. Diese Überlegungen knüpfen an meinen Eintrag Wissenschaft & Effektive Mikroorganismen an. Ein Zitat aus dem Buch:
Glauben heisst Für-wahr-halten in Abwesenheit von stützender Evidenz.
Der Autor publiziert übrigens regelmässig im Skeptiker.
Kritisiert wird u.a. auch das Weltbild des ZEGG. Einerseits wegen der spirituellen Weltsicht (Stichwort “Feldbildung”), zum anderen weil das ZEGG nicht-heterosexuelle Geschlechterverhältnisse komplett ausblendet - von Transgendern mal ganz abgesehen. Wer sich als emanzipatorisches Projekt versteht, muss sich die eigenen Ausgrenzungsmechanismen bewusst machen, um nicht im Endeffekt reaktionär zu werden. Dabei ist die Kenntnis des confirmation bias (Bestätigungstendenz) sehr nützlich. Was wir denken (können), bestimmt unsere Wirklichkeit. Vieles erscheint zunächst einmal undenkbar & oft brauchen wir einen kognitiven Schock damit das Undenkbare denkbar wird. So ein Schock stellt sich z.B. ein, wenn ich feststelle dass ich mich geirrt habe. Das ist niemandem angenehm, aber es bewahrt vor intellektueller Überheblichkeit & Vor-Urteilen. Womit wir wieder bei den Lektionen in Demut wären.
Die Kritik trifft natürlich viele (Gemeinschafts-) Projekte, nicht nur das ZEGG.
Mir ist bei der Beschäftigung mit diesem Thema mein alter Artikel Denken und sich Empören in der BüSo-Parteizeitung eingefallen. Bei der BüSo war ich mal ein Jahr Mitglied; ein dunkles Kapitel meines Lebens… Was ich damals geschrieben habe, kann ich nach wie vor unterschreiben, wenn ich auch manches inzwischen anders formulieren würde.
Anarchismus & die Macht des Systems
Anarchie auf Burg Lutter heisst für die BewohnerInnen selbstbestimmt leben. Es gibt nur ganz wenige selbst auferlegte Regeln. Das finde ich interessant, weil für mich Anarchie gar nicht “möglichst wenige Regeln” bedeutet, sondern “nur (gemeinsam) selbst aufgestellte Regeln”. Aber in einer so kleinen Gemeinschaft braucht es einfach wenige Regeln.
Das setzt natürlich voraus, dass die Einzelnen eigenverantwortlich handeln - was in unserer Gesellschaft trotz der Rhetorik aus CDU & FDP nicht erwünscht ist & dem entsprechend den Menschen von klein auf abgewöhnt wird. Die Schule leistet da ganze Arbeit. In diesem Zusammenhang verweise ich beispielsweise auf die Schulverbesserer aus Berlin.
An mir selber bemerkte ich mit Schrecken, wie mich z.B. meine Süssigkeitensucht an das kapitalistische System bindet. Als ich im Supermarkt an den Regalen vorbeilief, gab mir die Tatsache dass ich mir jederzeit was dort kaufen kann ein Gefühl von Sicherheit. Natürlich ist diese Sicherheit von zwei Seiten bedroht: mensch könnte mir den Geldhahn zudrehen, oder das Angebot könnte verknappt werden. Das machen ja z.B. die Energiekonzerne seit der Liberalisierung des Strommarktes, oder auch die Bahn seit sie ne Aktiengesellschaft ist.
Aus anarchistischer Perspektive kann Selbstversorgung in beliebig grossem Rahmen geschehen. Die Hauptsache dabei ist, dass das Leben & speziell das Wirtschaften herrschaftsfrei selbst organisiert wird. Es gibt viele bisher noch sehr kleine & nicht koordinierte Projekte dieser Art. Das wirkt anfangs oft sogar systemstabilisierend, siehe z.B. Selbsthilfe von Arbeitslosen. So etwas spart dem Staat Kosten. Wird aber erst mal eine bestimmte Grössenordnung erreicht, dann entstehen “Parallelstrukturen”, die dem Staat ein Dorn im Auge sind. Den Grosskonzernen übrigens auch. Denn wer solcherart selbst organisiert lebt, kauft keine Produkte der Konzerne. Insofern kann auch der Tag der Regionen als Beginn einer subversiven Bewegung gesehen werden. & das ist gut so! Zumal sich solche Bewegungen explizit nicht als gegen den Staat gerichtet sehen (Stichwort Agenda 21), sondern das Zusammenleben der Menschen im jeweiligen Staat umgestalten wollen.