Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle

Am Samstag Morgen hielt Prof. Götz W. Werner, Gründer & Geschäftsführer der dm-Drogeriemärkte (& nebenbei im Aufsichtsrat der GLS-Bank), einen beeindruckenden Vortrag über seinen Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens. Diese Idee wird in vielen Abwandlungen von immer mehr Menschen durchdacht & vorgebracht.
Götz Werner begann seinen Vortrag mit einem Blick zurück auf die letzten 5.500 Jahre menschlicher Geschichte & stellte darin zwei Konstanten fest, die das Leben & Wirtschaften der Menschen bestimmten:

  1. Mangel (bzw. Knappheit)
  2. Selbstversorgung

Das hat sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt: Vor allem seit der Industrialisierung hat die Arbeitsteilung & Spezialisierung immer weiter zugenommen, so dass wir heutzutage total abhängig von Fremdversorgung sind. Wer baut sich denn sein Essen schon noch selber an? Ganz zu schweigen von den Baumaterialien für die eigenen vier Wände usw. usf.

Mental sind wir jedoch noch Selbstversorger. Das äussert sich darin, dass wir uns selber & gegenseitig ständig fragen, wie wir denn “unseren eigenen Lebensunterhalt verdienen”. Gemeint ist damit natürlich Geld verdienen – aber das Geld ist ja nur Mittel um sich dafür die eigentlichen Güter & Dienstleistungen zu kaufen, die mensch zum Leben braucht. Die “private Altersvorsorge” in Form von Geldanlagen ist somit ein Denkfehler. Als Illustration dafür nannte Götz Werner die DDR, in der die Menschen reichlich Geld zur Verfügung hatten, aber dennoch Mangel an Gütern & Dienstleistungen herrschte. Wer sich seinen Lebensunterhalt in Form von Geld verdient, ist ganz & gar kein Selbstversorger, sondern in ein komplexes System eingebunden, das sich arbeitsteilige Wirtschaft schimpft. Wir sind vielfältig voneinander abhängig.
Deshalb definiert Götz Werner Wirtschaft folgendermassen:

Volkswirtschaft ist das Füreinander Leisten.
Betriebswirtschaft ist das Miteinander Füreinander Leisten.

Dabei orientiert er sich stark am Nationalökonomischen Kurs von Rudolf Steiner. Übrigens ein sehr empfehlenswerter Text, der die Wirtschaft aus teilweise sehr ungewöhnlicher Perspektive beleuchtet. In seinem Konzept der Dreigliederung ordnet er die Ideale der Französischen Revolution dem Geistes-, Rechts- & Wirtschaftsleben zu. Dass dabei die Brüderlichkeit dem Wirtschaftsleben zugeordnet wird, erscheint aus heutiger Sicht sehr befremdlich. Als Vision einer menschenfreundlichen Gesellschaft gefällt mir diese Einteilung hingegen ungemein. Steiner deutet die Arbeitsteilung so, dass die Menschen regelrecht unbewusst im geschichtlichen Verlauf altruistisch geworden sind, weil sie eben nicht mehr für sich selbst, sondern füreinander arbeiten.

Diese Sicht der Dinge widerspricht natürlich total derjenigen von Rudolf Bahro, der Pate stand für das LebensGut Pommritz. Dort forschen die BewohnerInnen stark in Richtung Selbstversorgung, wie übrigens viele Gemeinschaften.

Jedenfalls ist die Selbstversorgung für die allermeisten Menschen in den Industrienationen nur noch eine Idee, während die Wirklichkeit das genaue Gegenteil davon ist.

Eine noch viel jüngere Tatsache als die Fremdversorgung ist, dass – ebenfalls in den Industriestaaten – der Mangel von Überfluss abgelöst wurde. Dies wurde ermöglicht durch ständige Produktivitätssteigerungen dank des technischen Fortschritts. Mit den Worten Rudolf Steiners: Wenn der Mensch Geist auf Arbeit anwendet, spart er Arbeit ein.

Innerhalb weniger Jahrzehnte haben sich also die beiden Grundtatsachen menschlichen Wirtschaftens ins Gegenteil verkehrt. Daraus folgt: Es steht uns nicht bloss ein Paradigmenwechsel bevor, sondern eine radikale Paradigmenumkehr!


Nun aber zur Umsetzung des Ganzen, wie Götz Werner es sich vorstellt. Zunächst hat er in seinem Vortrag verdeutlicht, was in unserem System mit den Steuern passiert, die jemand auf das persönliche Einkommen zahlen muss: Da wir eine progressive Einkommensteuer haben, zahlt mensch prozentual mehr, je mehr Einkommen diese Person bezieht. Anders ausgedrückt: Leiste ich mehr, wird mir auch mehr wieder abgeknöpft (ich sehe hier mal davon ab, dass einige Einkommen ohne nennenswerte eigene Leistung zustande kommt).
Auf der anderen Seite, beim Verbrauch, läuft es genau umgekehrt: je mehr ich konsumiere, desto billiger wird für mich das einzelne Konsumgut (Mengenrabatt). Es lohnt sich also, so viel wie möglich zu konsumieren, weil der Stückpreis dadurch sinkt.

Diese Besteuerungs- & Preispolitik ist genau falsch herum & aus diesem Grund fatal sowohl für unsere Wirtschaft als auch für die Natur. Aus diesem Grund schlägt Götz Werner vor, die Umsatzsteuer (die ja eine Verbrauchssteuer ist) schrittweise zu erhöhen & im Gegenzug die Unternehmens- & Einkommenssteuern zu senken & schliesslich ganz abzuschaffen. Aus eigener Unternehmererfahrung weiss er, dass Unternehmen selbst faktisch sowieso keine Steuern zahlen, sondern sie nur an die (End-) Verbraucher weiterreichen. Sämtliche Steuern werden auf die Preise aufgeschlagen, so wie alle anderen Kosten eben auch.
Sinn & Zweck dieser Steuer-Radikalreform ist, dass die Einzelnen weniger konsumieren sollen, damit die Gemeinschaft auch konsumieren kann. Also solche öffentlichen Güter wie Bildung, Wasser- Energieversorgung usw. usf. Wobei diese Güter rapide der Privatisierung zum Opfer fallen, siehe GATS – aber das ist ein anderes Thema & würde hier den Rahmen sprengen.

Von den Einnahmen der Verbrauchssteuer wird das Grundeinkommen finanziert. In diesem Zusammenhang betonte er noch einmal, dass es für die Versorgung der Menschen nicht auf das Geld ankommt, sondern auf Güter & Dienstleistungen. Geld ist eine soziale Vereinbarung, wie produziert & das Erzeugte dann konsumiert werden soll. Er zitierte Oswald von Nell-Breuning: “Alles was produziert werden kann, kann auch finanziert werden.”

Das Besondere beim Grundeinkommen: es kommt nicht darauf an, was die Einzelnen leisten. JedeR erhält unterschieds- & bedingungslos genug, um davon leben zu können. Wo das die Grundlage des Wirtschaftens ist, wird die Automatisierung vom Fluch – “Arbeitsplatzvernichtung” – zum Segen: “Die Wirtschaft hat die Aufgabe, die Menschen von der Arbeit zu befreien.”
Durch das Grundeinkommen kommen die Menschen zur Freiheit: sie sind dann nämlich nicht mehr auf Erwerbsarbeit angewiesen & können tatsächlich frei wählen, welche Tätigkeit sie ausüben wollen. Götz Werner unterscheidet in dem Zusammenhang zwischen einem Einkommensplatz & einem wirklichen Arbeitsplatz. Im heutigen System suchen die meisten Menschen nach einem Einkommensplatz & haben grosses Glück, wenn dieser mit dem von ihnen erwünschten Arbeitsplatz zusammenfällt.

An dieser Stelle empfehle ich den Artikel Der Lohn der Angst von Wolf Lotter im brand eins Magazin. Der fordert auch ein Grundeinkommen & erwähnt, dass damit der Arbeitsmarkt überhaupt erst zu einem freien Markt würde. Ein freier Markt setzt ja gleichberechtigte & freie Marktteilnehmer voraus. Im Fall des Arbeitsmarktes kann da keine Rede von sein.

Ein interessanter Aspekt ist, dass durch die vorgeschlagene Steuerreform das Gefälle zwischen “Erster” & “Dritter Welt” stark abnehmen würde. Denn die Unternehmens- & Einkommenssteuern werden ja wie erwähnt auf die Preise aufgeschlagen, wodurch diese steigen. Nun muss auch ein Land der Dritten Welt für Investitionsgüter aus einem Industrieland diese hohen Preise zahlen, was an sich schon ungünstig ist. Nun verschulden sich die Länder der Dritten Welt also erheblich, um Investitionsgüter bei uns zu kaufen. Damit sie ihre Schulden zurückzahlen können, müssen sie ihrerseits die Produkte, die mit Hilfe dieser Investitionsgüter hergestellt wurden, an Industriestaaten gegen harte Währung verkaufen. Da die Länder der Dritten Welt aber selber nur geringe Steuern für die Finanzierung der Infrastruktur erheben, sind ihre Produkte auf dem Weltmarkt sehr billig. Unterm Strich sorgt Entwicklungshilfe also dafür, dass die Entwicklungsländern mehr zahlen als sie bekommen.
Würden in den Industriestaaten jedoch Steuern auf den Verbrauch anstatt auf die Wertschöpfung erhoben, dann müssten die Entwicklungsländer erheblich niedrigere Preise für Investitionsgüter zahlen, während ihre eigenen Produkte in den Industriestaaten nicht wesentlich billiger als inländische Erzeugnisse wären.

Neben einem radikal verringerten Verwaltungsaufwand der Steuerbehörden (sowie Massenarbeitslosigkeit in der Steuerberaterbranche ;-)) hätte diese Reform auch zur Folge, dass sich Steuerflucht & Schwarzarbeit überhaupt nicht mehr lohnen würden. Zwar ist das Grundeinkommen nicht die Lösung aller Probleme dieser Welt, aber das Leben würde doch erheblich angenehmer für die allermeisten Menschen.

Bei Attac kümmert sich übrigens die AG Genug für alle um die Lobbyarbeit für ein Grundeinkommen.